Bayern: Grüner Höhenflug im Dirndl

Bayern: Grüner Höhenflug im Dirndl
Revolution in Bayern? Die Grünen erleben einen Höhenflug, könnten zweitstärkste Kraft werden, der SPD droht ein Absturz.

Ein Duell haben die Grünen bereits für sich entschieden: Der Titel für das größte rhetorische Talent in diesem Wahlkampf geht an ihre Spitzenkandidatin Katharina Schulze. Der „Verband der Redenschreiber deutscher Sprache“ kürte die 33-Jährige zur Siegerin, Markus Söder (CSU), ebenfalls kein Unbegabter, landete auf Platz zwei.

Doch an der Sprache alleine wird’s nicht liegen, dass die bayerischen Grünen derzeit einen Höhenflug erleben. Mit 15 bis 18 Prozent könnten sie, je nach Umfrage, zweitstärkste Kraft werden. Und nicht nur dort, seit den geplatzten Koalitionsgesprächen sind sie bundesweit im Aufwind. Sie profitieren von der schwächelnden SPD, konnten aber auch frühere Unions-Wähler an sich binden, sagt Manfred Güller, Chef des Umfrageinstituts Forsa.

Wie ihnen das gelingt, lässt sich derzeit in Bayern beobachten. Dort hat die Partei ihr Image als Bürgerschreck längst abgelegt, von "Schmuddelkinder", wie sie CSU-Übervater Franz-Josef Strauß einst schimpfte, ist keine Rede mehr.

Neue Generation Grüne

Hier trägt Spitzenkandidatin Katharina Schulze Dirndl und fährt mit Polizisten auf Streife. Die gebürtige Freiburgerin studierte Interkulturelle Kommunikation, Psychologie sowie Politik in München und in den USA, lernte das Wahlkämpfen bei den US-Demokraten. Sie steht für eine neue Generation von Grünen, hält wenig von Flügelkämpfen und dringt in grüne Sperrzonen vor: Als Innenexpertin organisiert sie Kongresse mit Sicherheitsbeamten. Dennoch steht Schulze auch auf der Seite jener, die zuletzt gegen die CSU-Politik bzw. deren Gesetz demonstrierten, das der Polizei mehr Überwachungsmöglichkeiten einräumt. Und versucht, einen Spagat zu bewältigen: Statt Überwachung fordert sie mehr Leute – und 200 IT-Spezialisten statt 200 Pferde.

Das kommt bei liberalen oder christlichen Konservativen gut an, denen die CSU zu hart auftritt. Wie auch beim Thema Flüchtlinge: Mit ihrer Tonalität („Asyltourismus“) vergraulten die Christsozialen vor allem jene, die sich für Integration engagieren. Selbst mit Bauern sind die Ökos heute auf einer grünen Linie. Wenn es etwa um den Erhalt der Wiesen geht, die mit Diskontern verbaut werden und die Ortskerne dadurch aussterben. Sie komme heute mit Leuten ins Gespräch, „die früher nie mit uns geredet hätten“, berichtet Katharina Schulze vergangene Woche vor einer Runde Auslandsjournalisten. Und erzählt von einem Wähler, der ihr versprach, nach 30 Jahren erstmals Grüne zu wählen. „Aber leicht fällt’s ihm nicht“, sagt sie und lacht.

So, wie sie es fast immer tut. Gleichzeitig gestikuliert sie viel, redet schnell, streut englische Wörter ein („Don’t touch my Schengen“), ohne dass es einen überfordert oder peinlich ist. Ja, Katharina Schulze kann sogar Bierzelt. Während früher gerade einmal ein paar Leute zu den Veranstaltungen der Grünen in die Wirtshäuser kamen, steht Schulze derzeit in Zelten mit mehr als 1000 Menschen.

SPD mit altem Problem

Vieles, was sie und ihre Mitstreiter dort bewerben – von besserer Bezahlung für Pflegekräfte bis zu leistbarem Wohnraum –, steht auch auf der Agenda der Sozialdemokraten. Doch die SPD hält sich derzeit nur bei 11 Prozent, das sind fast die Hälfte weniger Stimmen als 2013. Spitzenkandidatin Natascha Kohnen wurde nicht einmal zum TV-Duell eingeladen. Dafür diskutierte ein Grüner mit Söder über Wohnungsbau und mehr Stellen für Lehrer – alles rote Kernthemen.

Fragt man Kohnen nach den Gründen fürs Tief, gibt sie sich kämpferisch und sagt Sätze wie „Umfragen dürfen keine Politik machen.“ Was dann aber doch rauskommt: Die SPD leidet unter der Koalitionsbeteiligung in Berlin. Alles, was dort aus Bürger-Sicht schief läuft, müssen die Wahlkämpfer in Bayern erklären – auch warum man mit der CSU im Bund zusammenarbeitet. Besonders schwierig war der Fall Maaßen: Dass der umstrittene Verfassungsschutzchef unter Mitsprache von SPD-Chefin Andrea Nahles zunächst befördert wurde, war nicht mehr vermittelbar. Es war Kohnen, die einen wütenden Brief an ihre Chefin schrieb. Heute zollt sie ihr Respekt für das Eingestehen der Fehler und die Korrektur der Entscheidung. Leicht ist ihr das sicher nicht gefallen. Kohnen gehört zum Linken-Flügel, gilt als Gegnerin der Großen Koalition. Man dürfe sich nicht „vor den Karren von Bundeskanzlerin Angela Merkel spannen lassen“, tönte sie im Frühjahr. Dass Nahles gestern den ständigen Unions-Zwist in der Berliner Koalition geißelte und indirekt mit Bruch der Koalition drohte, lässt sich als eine Art Lat-Minute-Wahlkampfhilfe für Kohnen deuten. Sie hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, etwa 50 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen, sagt sie vor der Auslandspresse.

Der Blick auf die Umfragen bereitet auch den Grünen nicht nur Freude. Katharina Schulze senkt beschwichtigend die Hände: Bloß nicht übermütig werden! Vor sieben Jahren hatten die Grünen schon einmal ein Hoch, es war nach Fukushima, doch dann blieben sie weit hinter den Erwartungen zurück.

Kommentare