Boden unter den Füßen verloren

Nicht nur österreichische, auch ungarische Bauern ziehen gegen FIDESZ den Kürzeren.

Staunende Schülerklassen und Touristen flanieren auf Budapests frisch renoviertem Kossuth-Platz vor dem Parlament. Die wenigsten haben einen Blick für die Handvoll ostungarischer Bauern, die da verloren in eine Ecke gedrängt ihre Plakate in die Höhe halten. Zwei Kühe haben sie über 250 Kilometer weit ins Zentrum der Hauptstadt mitgeschleppt. Die wirken ebenso müde wie die verbitterten Landwirte, die gegen die konservative FIDESZ-Regierung von Premier Viktor Orban demonstrieren.

"Wir bitten um die Aufrechterhaltung unserer Landwirtschaft", hat Bauer Laszlo Szabo auf sein Transparent geschrieben – eine vorsichtige Umschreibung dessen, was ihm demnächst blüht: Er wird sein Pachtland verlieren. Über 20 Jahre lang hat Szabo zusammen mit Istvan Csöre für knapp 200 Schafe rund 100 Hektar Weideland nahe ihres Heimatdorfes gepachtet. Damit ist es bald vorbei. Denn statt wie erwartet den Pachtvertrag zu verlängern, hieß es plötzlich: Den Zuschlag erhält eine junge Frau, die zwar in Frankreich lebt und auch keine Tiere hält, aber den großen Vorteil hat, die Nichte des regionalen Abgeordneten der FIDESZ-Partei zu sein.

Ende der Pacht

Alle protestierenden Bauern auf dem Platz teilen das gleiche Schicksal. Die Behörden teilten ihnen mit, dass ihr Pachtvertrag nicht mehr verlängert werde. Eine Begründung gab es nicht. "Wir wissen überhaupt nicht, was wir machen sollen", schimpft Szabo. "Die Tiere sind unser einziger Unterhalt, ohne sie ist unsere ganze Existenzgrundlage weg."

Den Zuschlag für die neuen Pachtverträge erhielten stattdessen meist FIDESZ-Anhänger und -Günstlinge. Oder, wie ein anderer protestierender Bauer dem KURIER schildert: "Die Ausschreibung für den Grund, den ich die vergangenen Jahre gepachtet habe, hat irgendeine unbekannte GmbH gewonnen. Aber deren Chefs sind überhaupt nicht an Landwirtschaft interessiert, die wollen nur die EU-Fördergelder." Seine Tiere dürfe er dann wohl wieder auf dem Grund weiden lassen, lautete das Angebot an den Schafzüchter, aber von der EU-Förderung wird er keinen Euro sehen. "Aber so können wir nicht leben", sagt er.

"Landraub"

Unbeachtet von den – von der Orban-Regierung – kontrollierten staatlichen Medien verloren zuletzt viele kleine Landwirte ihren Grund. Von "staatlich organisiertem Landraub" sprechen die Betroffenen. Die Opposition empört sich über eine "Vetternwirtschaft", die FIDESZ-Anhängern und mit der Regierung befreundeten Firmen die besten Grundstücke des Landes zuschanze. Einer davon: In Viktor Orbans Heimatgemeinde Felcsut konnte Bürgermeister Lörinc Meszaros, ein Freund des Premiers, seine Ländereien auf eine Fläche von inzwischen 1200 Hektar verdreifachen.

Ausländischen Landpächtern, darunter rund 200 Österreichern, hat die Orban-Regierung gleich offen den Kampf angesagt. "Ungarischer Boden für Ungarn", lautet die Devise, mit der die Ausländer zum Gehen aufgefordert werden, auch wenn deren Namen im Grundbuch verzeichnet sind. Mit 1. Mai sollen laut neuem ungarischen Bodengesetz die sogenannten bisher legalen Nießbrauch-Verträge enden. Österreichs Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter rief EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier um Hilfe an. "Wenn Österreich seinen Landwirten in Ungarn zur Seite stehen will, muss es den Weg über die EU nehmen", ist sich auch der Budapester Wirtschaftsexperte Laszlo Akar sicher. "Denn in der Bodenfrage ist die Orban-Regierung sehr entschlossen." Aber, so der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes GKI, es gebe ja immer noch die Chance, dass sich die Lage nach den Wahlen am kommenden Sonntag ein wenig entspannen könnte.

Für den ostungarischen Bauern Laszlo Szabo wird es hingegen keine Hilfe mehr geben. Sein Pachtvertrag endet am 31. August. "Dann habe ich nichts mehr", sagt er.

Ungarns junge Bevölkerung ist frustriert. Sie sieht daheim wenig Zukunftschancen. Zigtausende lassen deshalb jedes Jahr ihre Heimat hinter sich, auf der Suche nach einem besseren Leben – meist in Deutschland, England und Österreich.

Auch Balazs Viktor plant ins Ausland zu ziehen. Er studiert an der Schauspiel-Universität in Budapest und möchte nach New York. "Die Situation in Ungarn ist miserabel. Es gibt kaum Jobs. Und wenn doch, sind sie schlecht bezahlt, weil es zu viele Arbeitslose gibt."

Der Blick des 27-Jährigen in die Zukunft ist trübe: "Auf die Politik kann man nicht bauen. Die Wirtschaft geht den Bach runter. Und seit Viktor Orban regiert, ist unser Ruf in der EU mehr und mehr ruiniert."

Von seinen Freunden bekommt Viktor oft zu hören, dass Wegziehen keine Lösung sei. Doch er weiß: "Unter den momentanen Umständen und mit einem monatlichen Durchschnittslohn von 600, 700 Euro ist es hier nicht möglich, sich eine Wohnung, ein Auto zu leisten oder eine Familie zu gründen."

Stipendium abbezahlen

Rund eine halbe Million Ungarn hat in den vergangenen zehn Jahren ihre Heimat verlassen, fast immer auf der Suche nach einem fair bezahlten Job. Die Regierung versucht vor allem der Flucht der Jungen einen Riegel vorzuschieben. Wer mit einem staatlichen Stipendium studierte, muss seit einer 2013 in Kraft gesetzten Regelung ebenso lange in Ungarn arbeiten, wie die Förderung beansprucht wurde – oder die volle Summe zurückzahlen.

Peter Szabo hält indes nichts mehr. Diese Woche zieht der Grafiker mit seiner Freundin nach Schweden. "Wir lieben das Leben in Ungarn. Unsere Familie und Freunde leben hier. Für uns ist deshalb ganz klar, wir werden in drei Jahren wieder zurückkehren." Das Land, meint Szabo, stecke in einem wirtschaftlichen Sumpf. "Ich kann keine Entwicklung erkennen."

Laszlo Sipos wiederum pendelt. Im Sommer und Winter arbeitet er als Animateur in Deutschland. Die restliche Zeit lebt er in Ungarn. "Wirtschaftlich gesehen geht es den Menschen nicht so schlecht, wie alles dargestellt wird", glaubt er. "Zwar verdient man im Ausland drei Mal mehr, aber das wird sich auch in 100 Jahren nicht ändern. Ich glaube nicht, dass es unter einer anderen als der Orban-Regierung besser verlaufen wäre. Wir sind einfach in Osteuropa, und da ist es eben anders."

Den national-konservativen Regierungschef Viktor Orban nimmt Laszlo in Schutz: "Orban sehe ich als talentierten und einen der erfahrensten Politiker in Ungarn. Er war ein wichtiges Mitglied zur Zeit der Wende, und er versucht, die nationalen Interessen besser durchzusetzen. Dafür nimmt er auch Auseinandersetzungen in Kauf. "

Viktor, Laszlo und Peter – alle drei werden am Sonntag wählen. Viktor wird für "die kleinen Parteien stimmen, weil ich will nicht noch weitere vier Jahre mit FIDESZ leben." Dass es aber zu einem Regierungswechsel kommen wird, bezweifelt er. Und auch Sipos stellt sich wie die meisten Ungarn vor allem eine Frage: Ob FIDESZ erneut eine Zweidrittel-Mehrheit gewinnen kann. Ein Szenario, dass er sich nicht wünscht: "Ungarn braucht eine Opposition."

Eines aber fürchten alle drei jungen Männer. "Es wäre furchtbar, wenn die rechtsradikale Jobbik mehr Stimmen bekommen würde", sagt Viktor. "Ich müsste mich für mein Land schämen. Aber es wäre auch ein Zeichen, wie verzweifelt die Menschen sind." - Sara Telek

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