Bangladesch, das stand jahrelang synonym für Armut und ungebremstes Bevölkerungswachstum, und das weitgehend unter dem Radar der internationalen Aufmerksamkeit. Schaffte es das südasiatische Land in den vergangenen Jahren in die Medien, dann wegen Überflutungen, unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der dominanten Textilindustrie oder den trostlosen Zuständen im weltgrößten Flüchtlingslager Kutupalong nahe der Grenze zu Myanmar.
Es gibt aber auch eine andere Seite der Geschichte. Im vergangenen Jahrzehnt legte das 170-Millionen-Einwohner-Land ein beeindruckendes wirtschaftliches Wachstum hin. Und dieses wird vor allem mit einer Frau in Verbindung gebracht: Scheich Hasina Wajed.
Die 76-Jährige ist die dominante Politikerin Bangladeschs und bald, nach der bevorstehenden Wahl in Taiwan, die einzige Frau an der Spitze eines asiatischen Staates. Zum ersten Mal regierte die Parteichefin der Awami League (AL) von 1996 bis 2001, acht Jahre später errang sie zum zweiten Mal das Amt der Premierministerin und gab es seither nicht mehr ab. Am Sonntag wurde Hasina in einer höchst umstrittenen Wahl zum insgesamt fünften Mal zur Regierungschefin gewählt, und das in einem Land, in dem Frauen in der Regel alles andere als gleichgestellt sind.
Wie ist das möglich?
Ein Faktor ist, dass sie die Familienkarte gekonnt ausspielt. Ihr Vater Scheich Mujibur Rahman führte das Land 1971 nach einem blutigen Krieg mit tatkräftiger indischer Unterstützung in die Unabhängigkeit von Pakistan, nur um vier Jahre später mit dem Großteil seiner Familie ermordet zu werden. Hasina überlebte, weil sie sich zum Zeitpunkt des Attentats in Deutschland befand.
Der Vater als Quelle der Macht
Heute ist der Anschlagsort in der Hauptstadt Dhaka ein Museum und übergroße Portraits des Staatsgründers hängen im ganzen Land neben jenen seiner ältesten Tochter. „Sie mag eine Frau sein, aber die Quelle ihrer Macht ist männlich“, sagte der bekannte Jurist, Autor und politische Kommentator Asif Nazrul im Vorfeld der Wahl zum Spiegel.
Mit anderen Worten: Hasina regiert in dem zutiefst patriarchal geprägten Land nicht wegen, sondern trotz ihres Geschlechts.
Und sie regiert mit eiserner Hand – ein weiterer Faktor. Schon bei den letzten beiden Wahlen gab es schwere Vorwürfe wegen Wahlbetrugs und der Einschüchterung von Wählern, und dieses Mal war es nicht anders – obwohl die größte Oppositionspartei Bangladesh Nationalist Party (BNP) aus Protest erst gar nicht antrat.
Die Opposition wird gnadenlos unterdrückt
„Das war keine Wahl, sondern vielmehr eine Schande für die demokratischen Bestrebungen Bangladeschs“, sagt deren im Londoner Exil lebender Vorsitzender Tarique Rahman. In den Monaten vor der Wahl wurden Demonstrationen mit brutaler Gewalt aufgelöst und Zehntausende BNP-Anhänger verhaftet.
Hasinas langjährige Widersacherin, die eigentliche BNP-Chefin Khaleda Zia, sitzt im Hausarrest und darf diesen nicht einmal für eine dringend benötigte Lebertransplantation verlassen; Friedensnobelpreisträger Mohammad Yunus wird mit einer Klage nach der anderen überzogen und wurde erst kürzlich zu sechs Monaten Haft wegen Verstößen gegen das Arbeitsrecht verurteilt.
Menschenrechtsorganisationen werfen der Regierung 600 außergerichtliche Hinrichtungen seit 2018 vor, im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen liegt Bangladesch auf Rang 163 von 180 und im Korruptionsindex von Transparency International auf Platz 147 von 180, gleichauf mit dem Iran und einen Platz vor dem Taliban-regierten Afghanistan.
Hasina, die 19 Attentatsversuche überlebt hat, wird darum in internationalen Berichten gerne einmal als „Eiserne Lady von Bangladesch“ (Die Zeit), „Racheengel im Seiden-Sari“ (Spiegel) oder „Verkörperung der eisernen Faust im Samthandschuh“ (Time) bezeichnet.
Die Terroristen, das sind die anderen
Vertreter der Awami League weisen sämtliche Vorwürfe von sich. Hasina, die selbst gegen die nach der Ermordung ihres Vaters errichtete Militärdiktatur gekämpft habe, sei vielmehr die Garantin der Demokratie; die BNP hingegen eine „Terroristenpartei“, wie die Chefin selbst zum Time-Magazin sagte.
Verwiesen wird auch auf die unbestreitbaren Erfolge der vergangenen eineinhalb Dekaden von Hasinas Regentschaft. Bangladesch ist die am schnellsten wachsende und mittlerweile die nach Indien zweitgrößte Volkswirtschaft Südasiens, das Pro-Kopf-Einkommen hat sich seit ihrem zweiten Amtsantritt 2009 vervierfacht, 2026 soll Bangladesch die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder verlassen. Zudem wurden Armut und Geburtenrate halbiert sowie der zwischenzeitlich grassierende Islamismus unter Kontrolle gebracht.
Warum also die autoritäre Vorgehensweise?
Manche Beobachter meinen, Hasina habe gar keine andere Möglichkeit. Ihre AL und die BNP hätten sich über die Jahrzehnte so viel angetan, dass es keinen Weg zurück gebe. Sollte sie jemals die Macht verlieren, müssten sie und ihre Mitstreiter mit gnadenloser Repression und Rache rechnen. Freilich gibt es auch weniger wohlmeinende Stimmen, die ihr simple Machtbesessenheit attestieren.
Der Westen wird weiter nicht zu viel Druck machen
Was es auch ist: Hasina gibt sich auch mit 76 Jahren unverändert kämpferisch. "Es ist nicht so einfach, mich durch ein demokratisches System zu stürzen", sagte sie zuletzt zu Time. "Die einzige Möglichkeit ist, mich einfach zu eliminieren."
Auf die Unterstützung des Westens darf die Opposition jedenfalls nicht zählen, und das dürfte auch Hasina klar sein. EU und USA äußern zwar vereinzelt Kritik, aus geopolitischen Überlegungen aber immer mit gewisser Zurückhaltung. Zu groß scheint die Gefahr, das Land durch zu viel Demokratie-Gerede in die Arme Russlands oder Chinas zu treiben.
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