Im Missbrauchsprozess in Avignon gab es 51 Schuldsprüche für die Vergewaltiger von Gisèle Pelicot. Ihr Ex-Mann und Haupttäter wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Dominique Pelicot wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt, nachdem er jahrelang seine Frau betäubt und von fremden Männern vergewaltigen gelassen hatte.
50 weitere Männer wurden wegen Vergewaltigung verurteilt, wobei die Strafen unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft blieben.
Gisèle Pelicot beeindruckte durch ihre Stärke und forderte, dass die Scham auf die Täter übergeht.
Er ist schuldig in allen Punkten der Anklage, daran lässt das Gericht keinen Zweifel. Als Dominique Pelicot am Donnerstagvormittag in Avignon den Richterspruch hört, wie immer in einer grauen Joggingjacke gekleidet, zeigt er keine besondere Reaktion. Sein Gesicht bleibt verschlossen. Die Strafe von 20 Jahren Haft mit einer möglicherweise folgenden Sicherheitsverwahrung ist keine Überraschung für ihn.
Über Jahre hinweg hatte er seine mittlerweile von ihm geschiedene Frau Gisèle medikamentös betäubt, um im Anschluss fremde Männer in ihr Haus im südfranzösischen Mazan einzuladen und sie gemeinsam zu vergewaltigen.
Gisele Pelicot beim Verlassen des Gerichtsgebäudes in Avignon
20.000 Bilder vom Missbrauch seiner Frau speicherte der Ehemann
Die Taten filmte er. In seinen Computern und Festplatten, wo er 20.000 Bilder und Videos vom schweren Missbrauch seiner Frau speicherte, fand die Polizei auch Fotos von seiner Tochter und seinen beiden Schwiegertöchtern nackt oder in Unterwäsche, die er online verbreitete; auch dafür wurde er verurteilt, sowie für die schwere Vergewaltigung einer anderen, zuvor betäubten Frau, gemeinsam mit deren Ehemann.
Er habe den Richterspruch „zur Kenntnis genommen“, sagte Dominique Pelicots Anwältin. Zehn Tage bleiben Zeit, um Einspruch einzulegen. Darüber würden sie gemeinsam nachdenken.
Auch die anderen 50 Männer im Alter von 27 bis 74 Jahren blieben überwiegend regungslos bei der Verkündung ihrer Schuldsprüche und Strafen. Hatten sie während der Verhandlung manchmal gefeixt, erschienen sie nun ernst. Nur manche ihrer Angehörigen im Saal, ihre Mütter oder Lebensgefährtinnen, reagierten bestürzt, begannen zu weinen.
Aufgebrachte Feministinnen beklagen "Schande der Justiz"
„Schande der Justiz“, skandierten derweil aufgebrachte Feministinnen vor dem Gerichtsgebäude in der südfranzösischen Stadt. Denn es gab zwar keinen Freispruch, alle 51 Angeklagten wurden für schuldig befunden. Doch abgesehen von Dominique Pelicot blieben die Urteile deutlich unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft.
Diese sah mit einer Ausnahme zwischen zehn und 18 Jahren Haft vor, sprach von einem Prozess, der etwas bewegen, der „die Beziehungen zwischen den Männern und den Frauen fundamental verändern“ solle, auch durch exemplarische Urteile.
Letztlich bewegen sich die Strafen zwischen drei Jahren, davon zwei auf Bewährung, und 15 Jahren. Sechs Männer, die jeweils bereits in Untersuchungshaft waren, verließen das Gericht frei.
Beobachter vermuteten, dass die Urteile vergleichsweise gering ausfielen, damit die Betroffenen nicht in Berufung gehen, weil die Organisation eines weiteren Prozesses dieses Ausmaßes eine große Herausforderung wäre.
Der Haupttäter Dominique Pelicot wurde im September 2020 verhaftet, nachdem er von einem Sicherheitsbeamten beobachtet worden war, wie er in einem Geschäft mit seinem Handy unter die Röcke von drei Kundinnen filmte. Auf einer Kamera und seinem Computer wurden die Beweise gefunden: Tausende Videos, die zeigten, wie seine betäubte Frau von fremden Männern vergewaltigt wurde.
51 Männer wurden wegen Vergewaltigung angeklagt und nun verurteilt. Nicht alle Täter konnten ausgeforscht werden: Es sollen insgesamt mehr als 90 gewesen sein.
Tatsächlich herrschte oft riesiger Andrang, und ganz besonders am Tag der Urteilsverkündung. Bereits am frühen Morgen warteten am Donnerstag zahlreiche Besucherinnen und Besucher sowie die Vertreter von Medien aus der ganzen Welt vor den Eingängen des Gerichts, in der Hoffnung, einen Platz in einem der Übertragungssäle zu erhalten.
Auch an diesem letzten Tag eines jetzt schon als historisch geltenden Prozesses erhielt Gisèle Pelicot Applaus, als sie, umringt von Journalisten und begleitet von ihren Anwälten, das Gericht betrat und verließ. Einmal mehr beeindruckte sie durch ihr ruhiges Auftreten, ihre humane Reaktion.
Sie sei zutiefst berührt, sagte die 72-Jährige in einer Stellungnahme vor der Presse. Sie denke an ihre drei Kinder, ihre sieben Enkelkinder, Schwiegertöchter und „an die ganzen anderen Familien, die von diesem Drama betroffen sind“, sowie an alle Opfer sexueller Gewalt, die nicht als solche anerkannt werden.
Sie habe „Vertrauen in eine Zukunft, in der jeder, Frau und Mann, in Harmonie leben kann“, versicherte Gisèle Pelicot. Ihre Entscheidung, den Prozess öffentlich zu machen, habe sie nicht bereut, da sie wollte, dass „die Gesellschaft die dort geführten Debatten übernehme“. "Ich will, dass die Scham die Seite wechselt", hatte sie gesagt. Also nicht die Opfer sollten sich schämen, sondern die Täter.
Das ist ihr gelungen. Der Fall sorgte seit Beginn des Prozesses Anfang September für Diskussionen in den Medien, aber auch in privaten Gesprächen über das Ausmaß sexueller Gewalt und die medikamentöse Betäubung von Opfern durch ihre Täter.
Jeden Tag kamen Dutzende Menschen zum Gericht in Avignon, um Gisèle Pelicot ihre Unterstützung auszudrücken, sie erhielt massenhaft Post und Geschenke. In mehreren französischen Städten zieren Graffitis von ihr Mauerwände.
Ihre Forderung „Die Schande muss die Seite wechseln“ wurde zu einer Art feministischem Schlagwort. In der Nacht hatten Feministinnen ein riesiges Spruchband gegenüber dem Gerichtsgebäude aufgehängt. „Merci Gisèle“, stand darauf.
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