Auf der Jagd nach den besten Strategien im Anti-Terror-Kampf
Vor falschen Vorstellungen sei gleich gewarnt: Im Team des Anti-Terrorkoordinators der EU läuft niemand im Kampfdress und mit Sturmhaube durch die schmucklosen Gänge der EU-Behörde. Und auch Vergleiche mit dem amerikanischen Nationalen Anti-Terror-Zentrum (NCTC) und dessen über 1000 Mitarbeitern sollte man besser nicht ziehen. Genau eine EU-Beamtin und sechs nationale Berater stehen dem europäischen „Anti-Terror-Zar“, wie Gilles de Kerchove gern von den Medien bezeichnet wird, zur Seite. Einer dieser engen Mitarbeiter ist Günther Sablattnig.
Der gebürtige Kärntner schickt gleich voraus: „Wir sind keine operative Einheit, sondern arbeiten rein im strategischen Bereich.“ Heißt so viel wie: Nie auf Terroristenjagd, sondern auf der Jagd nach Ideen, nach Konzepten, Plänen und Vorgehensweisen, wie Terrorismus am besten europaweit bekämpft und noch besser von Anfang an verhindert werden kann.
Gleich nach
Ankunft in Brüssel, vor drei Jahren, herrschte höchste Angespanntheit. Der Schock über den Anschlag auf die Pariser Redaktion von "Charlie Hebdo" war noch kaum überwunden, als Terroristen die Konzerthalle Bataclan überfielen und 130 Menschen töteten. Weniger als ein Jahr später: Die verheerenden Anschläge auf den Flughafen und die U-Bahn in Brüssel.
Der 38-jährige studierte Politikwissenschafter hat es hautnah miterlebt, das Entsetzen und das Chaos in der europäischen Hauptstadt. Aber auch die bitteren Vorwürfe, warum die Attentate nicht verhindert werden konnten.
Zu wenig Zusammenarbeit
Der EU-Anti-Terror-Koordinator und sein kleines Team hätten es nicht stoppen können. Denn Polizei- und Geheimdienstarbeit, das sei Sache der jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten, hält der frühere Referatsleiter für bilaterale und multilaterale Angelegenheiten im österreichischen Innenministerium Kritikern entgegen.
Was allerdings viel besser hätte sein können: die Zusammenarbeit der nationalen Sicherheitsbehörden. „In dieser Hinsicht in den vergangenen drei Jahren extrem viel passiert“, schildert Sablattnig, „es gab ein Umdenken unter den Mitgliedsstaaten: Letztlich schadet es auf dem Sicherheitsbereich mehr, wenn man nicht kooperiert als wenn man kooperiert.“ So würden die EU-Agenturen Europol und Eurojust von den Staaten heute viel intensiver genutzt. Was vor allem bedeutet: Unendlich viel mehr Daten werden nun untereinander ausgetauscht, von den Daten über die illegale Migration bis hin zu jener der Kriminalitätsdatenbanken.
Woran es jetzt noch mangle, meint Günther Sablattnig, „ist die Analyse. Das Ziehen der richtigen Schlüsse aus all diesen Daten ist noch nicht perfekt.“
Als Entsandter des Innenministeriums agiert der junge Österreicher als eine Scharnierstelle für Informationen nach Hause. Vor allem aber sitzt er an der Zentralstelle, wo die besten Konzepte im Kampf gegen den Terror zusammengetragen werden. Und auch die ersten Trends zu erkennen sind. So warnte „Anti-Terror-Papst“ Kerchove schon vor Jahren vor der Gefahr nach Europa heimkehrender Kämpfer des „Islamischen Staates“.
Die Gefahr großer, verheerender Terroranschläge, wie sie in Paris, London, Madrid oder Brüssel geschahen, sieht Sablattnig derzeit nicht. „Die Strategie von Terrororganisationen hat sich verändert“, schildert der Experte dem KURIER,„es geht in Richtung vieler, kleinerer Anschläge, etwa Messerattacken. Mit dem Ziel, das Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung zu erhöhen.“
Einen Durchschnittstag gibt es nicht
Einen geregelten Tagesablauf kennt Sablattnig nicht. Viele Reisen, Konferenzen, Tagungen, Diskussionen, Sitzungen für seinen Chef vorbereiten, ihn fallweise vertreten.
Doch genau dieser „ständige Austausch, das Kennenlernen der unterschiedlichen Ansätze, die unterschiedlichen Perspektiven“, das ist es, was den Österreicher an seinem Job am meisten fasziniert. Zuvor, bei seinem zweijährigen Einsatz in Pakistan, da war alles ganz anders: Der junge Verbindungsbeamte des Innenministeriums sollte die Lage im Land eruieren, prüfen, ob es möglich ist, illegale Migranten nach Pakistan zurückzuschicken.
Von Pakistan nach Brüssel
Und natürlich stand für Sablattnig in Pakistan, wo Anschläge nahezu alltäglich vorkommen, auch das Thema Terror auf der Tagesordnung. Die Erfahrungen des österreichischen Beamten „im Feld“ haben seinen Umstieg nach Brüssel beschleunigt. Große Worte macht er nicht darum, gibt aber lächelnd zu: „Europa ist Europa.“
Sicher ist für den einzigen Österreicher im EU-Anti-Terrorbereich des Europäischen Rates: Jeden Tag gib es Neues zu lernen, „es ist so spannend, die vielen verschiedenen Persönlichkeiten, die unterschiedlichen nationalen Herangehensweisen.“ Klingt das nicht alles auch ein wenig nach grauer Theorie? „Ganz und gar nicht“, weist Sablattnig zurück. Bestmögliche Strategien im gemeinsamen europäischen Kampf gegen den Terror zu finden und sie den EU-Staaten nahe zu bringen, das ist aus der Sicht des ernsthaften jungen Mannes auch sein persönliches Ziel: „Wie wir gemeinsam besser werden können.“
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