Ex-Premier Abe nach Attentat verstorben: Was weiß man über den Täter?
Widersprüchliche Berichte und Spekulationen im Internet: Was man über den mutmaßlichen Täter weiß und was das Attentat über die japanische Bevölkerung aussagt.
Er war der längstdienende Regierungschef Japans, umstritten wegen seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik und seiner stetigen Forderung nach Aufrüstung und nach wie vor ein Strippenzieher hinter den Kulissen der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP).
Am Freitag schrieb der 67-jährige Shinzo Abe abermals Schlagzeilen, allerdings aus einem weitaus tragischeren Grund: Er wurde bei einer Wahlkampfrede in der Kaiserstadt Nara angeschossen und verstarb wenig später im Krankenhaus.
Japan steht unter Schock: Nicht nur, weil das Land zu den sichersten der Welt zählt und die Waffengesetze zu den schärfsten international zählen (die Null-Toleranz-Politik schreckt selbst Japans Mafia, die Yakuza, vom Gebrauch von Schusswaffen ab). Sondern auch, weil eine derartige Tat absolut untypisch ist.
"Kaum politische Gewalt"
"Es gibt wenige Präzedenzfälle. Politische Gewalt spielt in Japan keine Rolle, abgesehen von Einzelfällen in den 60er und 70er Jahren. Aber dass ein derart hochrangiger Politiker auf offener Straße erschossen wird, ist schon sehr lange nicht mehr geschehen", erklärt Politikwissenschaftler Hanno Jentzsch vom Institut für Ostasienwissenschaften der Uni Wien.
2007 wurde in der japanischen Großstadt Nagasaki der Bürgermeister Iccho Ito angeschossen. Er war zur Zeit des Attentats ebenfalls im Wahlkampf aktiv, allerdings für die Kommunalwahlen. Der Politiker erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Der mutmaßliche Täter soll zum Umfeld der Yakuza gehören haben.
Über die Motive des mutmaßlichen Täters von Abe weiß man derzeit noch wenig. Es soll sich um einen 41-jährigen früheren Marinesoldat handeln - das erscheint besonders tragisch angesichts der Tatsache, das sich Abe wie kein anderer Politiker für die Aufrüstung des Militärs einsetzte.
Der Mann soll zweimal mit einer selbst gebauten Schusswaffe auf Abe gefeuert und ihn von hinten in den Rücken und dabei sein Herz getroffen haben. Nach Angaben des Ärzteteams hat Abe aufgrund der Folgen des Angriffs viel Blut verloren, schon bei seiner Ankunft im Spital seien keine Lebenszeichen mehr zu messen gewesen.
Dem Staatsfernsehen NHK zufolge soll er am Tatort gesagt haben, er sei unzufrieden mit dem Verhalten von Abe gewesen und habe darauf beschlossen, ihn zu töten. Laut anderen Berichten sagte er, er habe "keinen Groll gegen Abes politische Überzeugungen".
Spekulationen über politisches Motiv
In den sozialen Medien dominieren Spekulationen über ein politisch motiviertes, ideologisches Motiv; sie reichen von links bis rechts. "Abe hat sich Feinde in allen Lagern gemacht. Es gibt sicher auch ultra-nationalistische Rechte, die trotz seines nationalkonservativen Kurses unzufrieden waren", sagt Jentzsch im Gespräch mit dem KURIER.
Gleichzeitig galt Abe trotz seines Rücktritts 2020 als nach wie vor mächtige Person hinter den Kulissen der regierenden LDP. Es sei in Japan zwar nicht unüblich, dass abgetretene Politiker nach wie vor die Strippen ziehten, sagt Jentzsch. Doch Abe habe extrem polarisiert: "Er vertrat seine Ideen stark nach außen, das war untypisch für einen japanischen Politiker.“
Unzufrieden sei übrigens ein großer Teil der japanischen Bevölkerung. Doch tendenziell meiden die Japaner "laute politische Debatten und tendieren eher zu Lethargie."
Das Attentat habe die Öffentlichkeit aufgeweckt, so Jentzsch. Und werde Bevölkerung, Medien und Politik noch lange beschäftigen, ja möglicherweise zu längerfristigen Verhaltensänderungen führen.
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