Kurz vor dem endgültigen Aus flammte der Konflikt wieder auf, die Liberalen zweifelten den Atomausstieg zum aktuellen Zeitpunkt an. Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck beruhigte, die Energieversorgung in Deutschland sei garantiert: "Wir haben die Lage im Griff durch die hohen Füllstände in den Gasspeichern und die neuen Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten und nicht zuletzt durch mehr erneuerbare Energien."
Fakt ist, dass es Deutschland im vergangenen Jahr geschafft hat, die Stromerzeugung aus Kernenergie im Vergleich zu 2021 zu halbieren (6,4 statt 12,6 Prozent). Doch der Preis dafür ist nicht so grün, wie es Habeck wohl gerne gehabt hätte.
Kohle statt Atomkraft
Die Abkehr gelang, weil Deutschland – nur kurzfristig, wie die Grünen gern betonen – in Kohle und Flüssiggas investiert hat. Ein Drittel des in Deutschland erzeugten Stroms kam im Vorjahr aus Kohlekraftwerken (33,1 Prozent; 2021: 30,2 Prozent).
Zweitwichtigste Energiequelle war zwar die Windkraft, der Anteil ist auch gestiegen, allerdings weniger als jener von Kohle. Im ersten Quartal 2023 gingen mit 117 Stück bundesweit mehr Windräder ans Netz als im Vorjahreszeitraum. Nach wie vor wird aber mehr als die Hälfte der Energie in Deutschland aus konventionellen Energiequellen wie Kohle und Erdgas gewonnen. Insgesamt sinkt dieser Wert seit 2018 aber. Damals waren noch 62,8 Prozent an der Stromeinspeisung auf konventionelle Energieträger zurückzuführen.
Aufschreie aus Industrie und Wirtschaft, Deutschland könnte ohne Atomkraft der Strom ausgehen, entkräftete das Umweltbundesamt mit dem Verweis, dass Deutschland seit 2003 weniger Strom erzeugt, als verbraucht wird. "Das Tempo beim Ausbau erneuerbaren Energien soll beibehalten werden: 2030 wollen wir 80 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugen", so Habeck.
Außerdem ist umstritten, wie viel Strom die Atomkraftwerke bei einem Weiterbetrieb tatsächlich liefern würden: Neue Brennstoffelemente würden gebraucht; mit den vorhandenen müsste die Stromerzeugung gedrosselt werden, hieß es im Vorjahr in einem Prüfvermerk des Umweltministeriums.
Wohin mit dem Atommüll?
Was mit den AKW dann passiert, ist offen. Die Brennstäbe müssen gekühlt, die Uran-Spaltung gestoppt werden – das dauert mehrere Jahre. Dann stellt sich die Frage der Endlagerung des Atommülls. Ein erheblicher Teil lagert derzeit in dem niedersächsischen Salzstock Gorleben, der Rest in Zwischenlagern an früheren Atomkraftwerkstandorten. Die Regierung sucht immer noch nach einem sicheren Atommüll-Endlager. Der Abbau des Atomkraftwerks selbst dauert im Regelfall zehn bis 15 Jahre.
Bevölkerung gegen Aus
Das Aus kommt übrigens zu einem Zeitpunkt, an dem sich nicht einmal mehr die Bevölkerung wirklich sicher ist: In einer YouGov-Umfrage unterstützten nur mehr 26 Prozent der Befragten die Abschaltung der Atomkraftwerke zum jetzigen Zeitpunkt. Zwei Drittel sind für das (begrenzte) Weiterlaufen. Nur mehr unter Grünen-Wählern herrscht eine Mehrheit für die Abschaltung. Nach den Katastrophen in Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 gab es über alle Parteien hinweg klare Mehrheiten dafür.
Die Atomkraftgegner werden morgen jedenfalls feiern: An den drei Standorten sind große Feste geplant – inklusive Countdown bis zum letzten Megawatt.
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