Kein Scheitern ist schon ein Erfolg

Kraftakt der Spitzendiplomaten führt die Iran-Gespräche in eine Verlängerung.

Sie kamen, sahen und verloren zumindest nicht ihre Gewissheit, dass noch nicht alles vergeblich ist: Die Außenminister der USA, Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands versuchten gestern in Wien einen gemeinsamen Kraftakt. Die seit Februar in der Bundeshauptstadt laufenden und zuletzt arg stockenden, internationalen Iran-Atomgespräche sollten noch einmal mächtig angeschoben werden.

Kein Scheitern ist schon ein Erfolg
APA19357530-2_13072014 - WIEN - ÖSTERREICH: Der österreichische Aussenminister Sebastian Kurz (R.) und sein französischer Amtskollege Laurent Fabius vor Beginn einer Unterredung am Sonntag, 13. Juli 2014, in Wien. Fabius wird heute an den Iran-Atomgesprächen teilnehmen. FOTO: APA/DRAGAN TATIC
Doch schon bei seiner Ankunft Sonntag Früh in Wien hatte sich der amerikanische Top-DiplomatJohn Kerryäußerst skeptisch gezeigt. "Wir müssen schauen, ob wir Fortschritte erzielen können", sagte er vage. Und auch Frankreichs Außenminister gab in einem kurzen Treffen mit Atom-Gipfelgastgeber und AußenamtschefSebastian Kurzzu bedenken: Zwischen den 5 UN-Vetomächten sowie Deutschland (5+1-Gruppe) einerseits und dem Iran andererseits gebe es noch immer eine Reihe ungelöster Fragen.

Atomwaffenfrei

Kommenden Sonntag hätte das historische Abkommen zwischen der internationalen Staatengemeinschaft und Teheran unter Dach und Fach sein sollen. Es soll festlegen, dass der Iran keine Atomwaffen bekommt. Im Gegenzug würde der Westen seine schmerzhaften Wirtschaftssanktionen gegen den Iran aufheben. Doch auch die geballte Prominenz der westlichen Spitzendiplomatie, die die Bedeutung der Iran-Gespräche in Wien noch einmal unterstreichen sollte, brachte gestern keinen Durchbruch.

Kein Scheitern ist schon ein Erfolg
APA18926946_18062014 - WIEN - ÖSTERREICH: Der iranische Außenminister Javad Zarif im Rahmen der Würdigung von österreichischen und iranischen Ärzten die Kriegsverletzte bei den chemischen Angriffen während des Krieges zwischen dem Iran und Irak behandelten, am Mittwoch, 18. Juni 2014 in Wien. FOTO: APA/HANS PUNZ
Zwischen dem luxuriösen Palais Coburg und der Residenz des britischen Botschafters pendelte der Verhandlertross hin und her, lotete mit Irans stets freundlich lächelndem Außenminister Mohammed Javad Zarif die Möglichkeiten aus. Doch die Differenzen scheinen derzeit unüberbrückbar – vor allem was den Streitpunkt der Urananreicherung betrifft: Der Westen beharrt darauf, dass Teheran nur maximal 5.000 Zentrifugen haben darf, um Uran selbst anzureichern. Teheran, das derzeit 19.000 Zentrifugen besitzt, verlangt aber langfristig 50.000.

Druck auf den Iran

Für den Westen aber ist dies vollkommen inakzeptabel: Mit so vielen Zentrifugen wäre es für den Iran ein Leichtes, binnen kurzer Zeit Atomwaffen zu bauen, heißt es. Vom großen Atom-Gipfel in Wien wurde nun erwartet, dass sich das Regime in Teheran bewegt. "Der Ball liegt beim Iran", sagte Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

Noch machen alle Seiten massiv Druck, bis 20. Juli doch noch plangemäß zu einem Ergebnis zu kommen. Eine Verlängerung der Gespräche steht allerdings im Raum. Mit dieser Option im diplomatischen Handgepäck waren die Außenminister Kerry, Hague, Fabius und Steinmeier gestern bereits nach Wien angereist. Ein endgültiges Scheitern der Gespräche wäre für alle Seiten ein Totalschaden. Allein schon die Aufnahme der Iran-Gespräche im vergangenen Herbst hat die mehr als elf Jahre dauernde Krise mit dem Iran deutlich entspannt. Die Führung in Teheran zeigte sich seither zu erheblichen Zugeständnissen bereit.

Entsprechend unrund begann der Iran denn auch gestern zu drohen: Gehen die Verhandlungen schief, werde der Iran sofort wieder damit beginnen, Uran erneut auf 20 Prozent anzureichern. Damit hatte Teheran als Zeichen des Entgegenkommens bereits im Jänner aufgehört.

Österreich stehe jedenfalls auch weiterhin als Gastgeber der Atomgespräche bereit, sagte Außenminister Sebastian Kurz. "Und ich hoffe auch, dass die Gespräche nicht abgebrochen werden."

In den Wiener Atomgesprächen mit dem Iran hat es heute, Sonntag, keine Annäherung gegeben. Dies teilte der britische Außenminister William Hague beim Verlassen des Tagungsortes in der Wiener Innenstadt mit. In der Streitfrage der Uran-Anreicherung habe die "riesige Kluft" zwischen dem Iran und der 5+1-Gruppe nicht geschlossen werden können, berichtete Hague.

Hague: Frage ist zu wichtig

"Es hat keinen Durchbruch in den heutigen Gesprächen gegeben, aber es war wichtig, dass die Minister zusammengekommen sind", sagte Hague. In den kommenden Tagen sollen die Gespräche auf technischer Ebene fortgesetzt werden. "Diese Frage ist zu wichtig, um sie links liegen zu lassen", betonte der konservative Politiker. Der Konflikt müsse "zur Zufriedenheit der Welt" gelöst werden, sagte er mit Blick auf die Befürchtung, dass der Iran insgeheim die Entwicklung von Atomwaffen anstrebe.

Verlängerung derzeit kein Thema

Auf die Frage nach einer möglichen Verlängerung der Atomgespräche bekräftigte Hague, dass man sich weiterhin darauf konzentrieren müsse, eine Einigung bis zum Auslaufen der Frist am 20. Juli zu erzielen. Über eine Verlängerung sollte erst diskutiert werden, "wenn klar geworden ist, dass es keinen anderen Fortschritt geben kann".

Steinmeier: Ball liegt beim Iran

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat eindringlich an den Iran appelliert, im Atomstreit mit dem Westen einzulenken. "Das ist vielleicht für lange Zeit die letzte Chancen, den Streit um das iranische Atomprogramm friedlich zu lösen", sagte Steinmeier am Sonntagabend nach den Außenminister-Beratungen in Wien. "Der Ball liegt auf der Seite des Iran", betonte er.

Der deutsche Chefdiplomat betonte, dass die 5+1-Gruppe "in großer Geschlossenheit" vorgehe. Man habe heute "noch einmal alle Angebote auf den Tisch gelegt" und entwickle gemeinsam eine Position. Würde eine Lösung gelingen, wäre dies ein "riesiger Fortschritt", unterstrich Steinmeier.

Atomprogramm für zivilen Zweck

"Es ist jetzt auf der Seite des Iran zu entscheiden, ob sie den Weg der Kooperation mit der Weltgemeinschaft suchen oder ob sie in Isolation verbleiben wollen", sagte Steinmeier. Er hoffe, die Tage bis zum 20. Juli werden ausreichen, "um in Teheran noch einmal Nachdenklichkeit zu erzeugen und am Ende den Weg hin zu einer Vereinbarung einzuschlagen."

Man habe dem Vertreter des Iran klargemacht, "dass jetzt der Zeitpunkt ist, um nach langen Verhandlungen, über Jahre, um nicht zu sagen fast ein Jahrzehnt, endlich eine Vereinbarung zu schließen". Es solle nicht eine Vereinbarung um jeden Preis sein, sondern eine, "die sicherstellt, dass alle nuklearen Ambitionen, dass das Atomprogramm ausschließlich und rein zivilen Zwecken dient". Nur dann sei eine Vereinbarung "verantwortbar", betonte Steinmeier.

Netanyahu warnt vor Atomprogramm

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu warnte unterdessen vor einem Atomabkommen mit dem Iran, das Teheran die Fähigkeit belasse, Uran anzureichern. Das wäre eine Katastrophe für die USA und für die ganze Welt, sagte Netanyahu in einem Interview mit dem US-Sender Fox News am Sonntag.

Die Anzahl der iranischen Zentrifugen und die Urananreicherung: Sie ist der größte Knackpunkt der laufenden Verhandlungen – die Zahl der Zentrifugen zur Urananreicherung. Der Iran besitzt 19.000 Zentrifugen, von denen derzeit 10.000 in Betrieb sind. Die 5+1-Gruppe (fünf UN-Vetomächte und Deutschland) fordert eine drastische Verringerung. Die USA beharren auf maximal 4000. Der Iran besteht aber langfristig auf 50.000 Zentrifugen. Zuletzt forderte Irans geistliches und politisches Oberhaupt, Ayatollah Ali Khamenei, gar 190.000.

In der Vergangenheit gab die iranische Führung an, sie reichere Uran nur auf fünf bis 20 Prozent an, um es für zivile Zwecke wie die Energiegewinnung und medizinische Anwendungen einzusetzen. Für eine Atombombe müsste Uran auf 90 Prozent angereichert werden. Dieses Zugeständnis hat Teheran gemacht: Im Zuge der Verhandlungen wurde die iranische Urananreicherung nun auf fünf Prozent reduziert.

Mehr Kontrollen der internationalen Atomenergieagentur IAEA: Die internationale Staatengemeinschaft verdächtigt Teheran, unter dem Deckmantel eines friedlichen Atomprogramms heimlich an Atomwaffen zu arbeiten. Teheran dementiert dies vehement. Verstärkte Kontrollen sollen für mehr Transparenz sorgen.

Der Schwerwasserreaktor Arak: Da nach einer Inbetriebnahme des Reaktors Plutonium anfallen würde, das zur Herstellung einer Atombombe eingesetzt werden könnte, fordert der Westen die Schließung des Komplexes oder den Umbau zu einem Leichtwasserreaktor. Eine Schließung kommt für Teheran aber nicht infrage. Man hat deshalb vorgeschlagen, dass nur ein Fünftel des ursprünglich geplanten Plutoniums produziert wird. Die internationale Gemeinschaft begrüßt dies.

Zeitplan für die Sanktionslockerungen: Geht es nach Teheran, sollen die Strafmaßnahmen sofort nach Abschluss des Abkommens suspendiert werden. Die EU könnte dies akzeptieren, doch die USA wollen die Sanktionen nur stufenweise aufheben. Erst solle Teheran seine Verpflichtungen erfüllen. Strittig ist auch noch die Dauer des geplanten Abkommens: Der Iran denkt an fünf Jahre, seine Verhandlungspartner an 20 Jahre.

Die Hardliner im Iran und in den USA: Sowohl von Irans oberstem Führer, Ayatollah Khamenei, als auch vom teils skeptischen US-Kongress muss das Abkommen noch abgesegnet werden. Hardliner beider Seiten lehnen das angepeilte Abkommen grundsätzlich ab.

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