EU

Kommission: Mehr Sozialhilfe für Zuwanderer

Reizwort "Hartz-IV". Die Armutskonferenz warnt vor einer Abwärtsspirale am Arbeitsmarkt.
Die Deutschen sollen laut Brüssel auch EU-Migranten Hartz IV zahlen – in Österreich schwelt eine Debatte darüber.

Die seit Weihnachten intensive Debatte über Zuwanderung bekam am Freitag brisante Nahrung: Laut der in diesem Thema besonders engagierten Süddeutschen Zeitung verlangt die EU-Kommission von Deutschland einen leichteren Zugang von Ausländern zum Sozialsystem auch dann, wenn sie nicht im Land Arbeit suchen wollen.

Die Meldung empörte sofort die CSU. Sie hatte die Debatte mit ihrer Forderung nach schärferen Kontrollen der Sozialleistungen an Rumänen und Bulgaren, die seit Jahresanfang frei einreisen können, eröffnet. Auch die bisher zurückhaltendere CDU und Sprecher der Wirtschaft reagierten nun ablehnender. SPD und Grüne hielten sich dazu gestern zurück.

Eine Sprecherin der EU-Kommission schwächte die SZ-Meldung zwar ab. Es blieb in Berlin aber der Eindruck, dass die Kommission Deutschland zu einer genaueren Bedarfsprüfung von Anträgen auf Sozialhilfe („Hartz IV“) auch jener Einwanderer drängt, die nicht arbeiten wollen.

Rumänin als Anlass

Anlass für deren Stellungnahme war laut SZ die Klage einer 24-jährigen Rumänin mit Kind, die seit 2010 bei ihrer Schwester in Deutschland lebt und es ablehnt, auf Arbeitssuche zu gehen. Sie bekommt Kindergeld und Unterhaltsvorschuss, aber kein Hartz IV vom Arbeitsamt („Jobcenter“), das dafür vom Empfänger regelmäßige Arbeitssuche verlangen muss.

Das mit der Klage befasste Gericht in Leipzig legte ungewöhnlicherweise den Fall direkt dem EuGH in Luxemburg vor, der wiederum die Stellungnahme der EU-Kommission dazu einholte.

Dass der Aufenthalt der Rumänin bis Ende 2013 offenbar gesetzwidrig war, hatten weder das Gericht noch die SZ bemängelt. Es ist einer von über 100.000 vermuteten Missbrauchsfällen des bisher für Rumänen nötigen dreimonatigen Touristenvisums.

Am schärfsten reagierte umgehend die CSU, die zuvor die Debatte mit der Parole „Wer betrügt, fliegt“, ausgelöst hatte. Generalsekretär Andreas Scheuer sprach von einer „fatalen“ Stellungnahme der EU, er nannte sie einen „eurokratischen Wahnsinn“. Es sei „schockierend, wie leichtfertig sie die nationalen Sicherungssysteme torpediert“, so Scheuer vor der Präzisierung aus Brüssel. Deutschland sei „kein Selbstbedienungsladen für alle “.

Markus Ferber, CSU-Fraktionschef im Europa-Parlament, warnte die Kommission vor einer „Einmischung ohne jede Zuständigkeit“. Die Stellungnahme sei „brandgefährlich, weil sie die Solidarität in der EU überdehnt und am Ende das europäische Einigungswerk gefährdet“.

Berlin kontert

Ein Sprecher von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagte, man denke nicht an eine Änderung der Gesetzeslage: Die jetzige, nach der Einwanderer in den ersten drei Monaten keine Sozialhilfe bekommen und danach auch nur bei Arbeitssuche, sei ausreichend. Das habe nichts mit Personenfreizügigkeit oder erwünschter Zuwanderung von Fachkräften zu tun.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber kündigte Gespräche mit der EU-Kommission über Regeln an, die den gezielten Zuzug in die Sozialsysteme verhindern sollen.

Zuwanderung

Rekordzahl in Deutschland Im Vorjahr hat die florierende deutsche Wirtschaft so viele Zuwanderer ins Land gelockt wie seit 20 Jahren nicht mehr: Knapp 400.000 Menschen zogen nach ersten Schätzungen 2013 aus dem Ausland zu. Zwei Drittel der Neuankömmlinge kamen aus EU-Staaten, die Mehrheit davon waren Polen. Aber auch aus Spanien kamen mehr Arbeitsuchende als je zuvor.

Österreich Auch in Österreich stieg die Netto-Zuwanderung (Saldo aus Einwanderern und Auswanderern) signifikant. Für 2013 gibt es noch keine Zahlen, aber 2012 kamen knapp 44.000 Zuwanderer – die große Mehrheit davon waren EU-Bürger, die meisten davon kamen aus Deutschland.

Eines wollte man in der EU-Kommission am Freitag tunlichst vermeiden: Dass bei irgendjemandem der Eindruck entsteht, die Brüsseler Behörde fordere „Sozialleistungen für alle“ – und zwar auch für EU-Ausländer, die nur deswegen ins Land kommen.

„Die Andeutungen und Anschuldigungen, wonach die Kommission Deutschland drängt, allen arbeitslosen EU-Bürgen im Land Sozialhilfe zu gewähren, sind natürlich völlig falsch“, sagte Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde in Bezug auf den Bericht der Süddeutschen Zeitung.

Das Recht auf Freizügigkeit sei zwar ein Grundprinzip der EU, „aber es gibt strenge Schutzmaßnahmen, um den sogenannten Sozialtourismus zu verhindern“, so Ahrenkilde. „Um Sozialhilfe in einem anderen EU-Staat in Anspruch zu nehmen, muss man als EU-Bürger entweder arbeiten, ein direkter Familienangehöriger sein oder ständig in dem Land ansässig sein.“ So sei Deutschland auch beispielsweise nach EU-Recht nicht dazu verpflichtet, EU-Bürgern, die nicht arbeiten, während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts Sozialhilfe zu zahlen.

Gleichbehandlung

Woran sich die Kommission hingegen stört: Dass EU-Ausländer gegenüber Inländern diskriminiert werden, indem sie grundsätzlich und pauschal von Leistungen ausgeschlossen werden – genau das dürfte beim Hartz-IV-Gesetz der Fall sein. Statt eines generellen Ausschlusses fordert die Kommission laut SZ eine Einzelfallprüfung.

Schließt sich der EuGH dieser Meinung an, könnte das zur Folge haben, dass Sozialgesetze in ganz Europa überprüft werden müssen. Das langfristige Ergebnis dürfte aber dennoch nicht sein, dass EU-Bürger in ganz Europa Anspruch auf alle Sozialleistungen haben. Sondern eher, dass die Mitgliedsstaaten ihre Gesetze verschärfen. Eine Möglichkeit ist das Aufenthaltsrecht: Hier müssen Inländer und EU-Ausländer nicht gleich behandelt werden. In Österreich etwa muss man, um als Migrant dauerhaft im Land bleiben zu dürfen, entweder Arbeit haben oder Vermögen – ansonsten droht ein Ausweisungsverfahren.

Etwas mehr Licht ins Dunkel soll es am Montag geben: Da will die Kommission „Leitlinien“ für den Bezug von Sozialleistungen durch EU-Ausländer vorlegen.

Kommen ab 1. Jänner Tausende Rumänen und Bulgaren nach Österreich, nur um von den großzügigen Sozialleistungen zu leben? Die Arbeitsmarktöffnung für diese beiden Länder hat eine neue Debatte über Sozialschmarotzertum in Gang gesetzt. Die FPÖ befürchtet eine Welle an Neuanträgen für Sozialunterstützung.

Kommission: Mehr Sozialhilfe für Zuwanderer
Doch so einfach ist das nicht. Anspruch auf Mindestsicherung – sie beträgt ab Jahreswechsel 814 Euro im Monat für Alleinstehende und 1221 Euro für Paare – hat nur, wer hier auch arbeiten will. Das heißt: Er/Sie muss beim Arbeitsmarktservice als arbeitssuchend gemeldet sein, muss Bewerbungen schreiben oder einen AMS-Kurs besuchen. Zudem darf man über keinerlei Vermögen verfügen, das 4070 Euro übersteigt, also weder Auto, Haus noch Wohnung besitzen. Und damit der Zugang zu diesem Sozialtopf noch schwieriger wird, hat Wien eine besondere Auflage: Wer Mindestsicherung will und nicht Österreicher ist, muss sich von der Magistratsabteilung 35 eine Anmeldebescheinigung holen. Die kriegt aber nur, wer mit schriftlicher Bestätigung nachweisen kann, dass er eine Arbeit in Aussicht hat.

„Zuwanderung zum Zweck des Bezugs von Sozialleistungen ist nicht möglich“, sagt daher Johann Baumgartner, Sprecher von Wiens Sozialstadträtin Sonja Wehsely.

Wien ist Nummer Eins

Wien hat österreichweit die meisten Bezieher von Mindestsicherung: Insgesamt fast 150.000 dürften es heuer sein. In ganz Österreich sind es rund 240.000. Der Großteil davon arbeitet, verdient aber weniger als die Mindestsicherung, daher bekommt er sein Einkommen auf diese Höhe aufgebessert.

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Wie viele der Bezieher Migrationshintergrund haben, wird nicht extra ausgewiesen – im Gegensatz zum Pensionssystem: Rund 230.000 Menschen bekommen von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) eine Ausgleichszulage. 1127 davon beziehen ausschließlich eine ausländische Sozialleistung, darunter haben wiederum 418 die österreichische Staatsbürgerschaft. Seit 2010 gelten verschärfte Bestimmungen. Wer um diese Zahlung ansucht, wird streng geprüft. Der Antragsteller muss nämlich mindestens 10 Monate im Jahr in Österreich leben. Wer etwa ein Auto im Ausland angemeldet hat oder zu wenig Betriebskosten in der Wohnung hat, bekommt die Leistung nicht, sagt die PVA.

Großbritannien und Deutschland hatten das Thema in den vergangenen Wochen heftig diskutiert: Die deutsche Bundesregierung meldete am Montag, dass keine (von der CSU verlangten) Verschärfungen geplant sind, um die Armutswanderung einzudämmen.

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