Um sich halbwegs über Wasser zu halten, hat er in der Kleinstadt Beit Liqya, rund 13 Kilometer von Ramallah entfernt, einen Hangar gemietet und eine Werkstatt eröffnet. „Aber das Geschäft läuft schlecht. Die meisten Zahlungen, die ich bekomme, gehen verspätet ein, weil die meisten Leute hier auf Israel angewiesen sind“, sagt er. Statt 10.000 Schekel (2.500 Euro) verdiene er jetzt nur mehr 2.000 bis 3.000; seine Ersparnisse neigen sich dem Ende zu.
Warnung vor Kollaps
Im Gegensatz zu Munther haben die meisten anderen hier keine andere Arbeit oder Einkommensquelle gefunden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gehälter der in Israel Beschäftigten im Schnitt mehr als doppelt so hoch wie im Westjordanland sind, sie machen 20 Prozent des BIP der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) aus.
Darüber hinaus hat die israelische Regierung alle Steuern und Zölle, die sie im Namen der PA einsammelt und an diese weiterleitet, teils eingefroren – aus Sorge, die Gelder könnten zur Finanzierung der Hamas verwendet werden. Die Gehälter von öffentlich Bediensteten wie Lehrern, Gesundheitspersonal oder Richtern wurden stark gekürzt. Kaum verwunderlich also, dass die PA und Institutionen wie die Weltbank vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Palästinensergebiets warnen.
Munther hat deswegen auch seine Preise anpassen müssen. Er zeigt auf ein Auto, das ein Kunde bei ihm abgegeben hat. „Normalerweise müsste ich 1.500 Schekel für die Reparatur verlangen. Aber das konnte sich der Kunde nicht leisten, jetzt mach ich sie für 800.“
Im Büro über Munthers Werkstatt sind inzwischen seine Freunde Yahya Bader und Haitham Assi vorbeigekommen. Beide sind um die 50, haben bereits vor Beginn der ersten Intifada im Jahr 2.000 in Israel gearbeitet, im Bauwesen, so wie die meisten Palästinenser.
Jetzt kommen sie oft zu Munthers Garage, trinken Kaffee und verfolgen im Fernsehen Nachrichten aus Israel. „Um vielleicht doch hören zu können, dass es wieder möglich ist, in Israel zu arbeiten. Wir haben ja sonst nichts zu tun“, sagt Yahya. Er hebt resigniert seine Arme.
Für Austausch wichtig
Derzeit mehren sich in Israel die Stimmen, die Arbeiter wieder nach Israel lassen wollen. Deren Abwesenheit spürt auch die israelische Wirtschaft. Neue Bauprojekte kommen wegen Arbeitermangels nur schleppend voran oder werden auf Eis gelegt.
Ersatz haben Firmen nicht wirklich gefunden, auch wenn Premier Benjamin Netanjahu mit Indiens Premier Narena Modi darüber verhandelt, rund 40.000 indische Arbeitskräfte nach Israel zu bringen, vorwiegend für Bau und Pflege.
Doch die Arbeiter aus dem Westjordanland haben auch eine andere Rolle: die des Austauschs. Haitham merkt es bei seinen Söhnen, die selbst in Israel gearbeitet haben: „Die Situation vor dem Krieg war gut für die Jungen. Sie konnten sich neue Autos und Markenkleidung kaufen und im Restaurant essen.“
Viele Junge wollten nach Israel, weil sie dort mehr Geld verdienen. Nun könnten sie sich radikalisieren und einen Hass auf Israel entwickeln.
Auch der israelische Geheimdienst Shin Bet fordert deswegen seit Monaten eine Rücknahme der Maßnahmen. Dies scheitert aber am Widerstand von Netanjahus rechtsextremen Regierungspartnern, die behaupten, so ein weiteres Massaker verhindern zu wollen.
Die Fronten sind verhärtet, vielleicht stärker als jemals zuvor. Die Bewohner des Westjordanlandes leiden unter den Maßnahmen der israelischen Regierung und den fast täglichen Anti-Terror-Razzien, bei denen bereits 300 Palästinenser getötet wurden.
Israelis sind dagegen entsetzt über Umfragedaten, wonach fast drei Viertel der Befragten im Westjordanland das Massaker vom 7. Oktober gutheißen und die Hamas stark an Sympathie gewinnt.
Yahya hat bei aller Komplexität eine einfache Lösung parat: „Alle Palästinenser gehen wieder nach Israel arbeiten, das würde wieder Stabilität für alle bringen.“ Munther und Haitham sitzen daneben und nicken zustimmend. Sie haben nichts hinzuzufügen.
Kommentare