„A diamond is forever“ – das gilt besonders für die belgische Hafenmetropole. Die Wege fast aller Rohdiamanten führen hierher. Doch das Geschäft mit den Edelsteinen wandelt sich.
"Schmucklos?" Carlo Ratzersdorfer ist irritiert. Vom Schreibtisch seines geräumigen, hellen Büros aus wirft der Diamantenhändler aus Antwerpen einen kurzen Blick auf die wohl berühmteste Straße der belgischen Hafenstadt: In der "Hoveniersstraat" drängen sich auf 200 Metern Länge die Geschäftsstellen von rund 1.600 Diamanten-Großhändlern und vier Diamantenbörsen.
Hier schlägt das Herz des globalen Diamantenhandels. Hier werden 85 Prozent aller Rohdiamanten der Welt gehandelt.
Doch wer im Diamantenviertel Antwerpens Glitzer, Glamour oder Luxus erwartet, könnte nicht überraschter sein. Graue Gebäude reihen sich aneinander, nüchterne Zweckbauten, dazwischengequetscht: eine kleine Synagoge.
Der Unbezwingbare
Der Name „Diamant“ leitet sich vom altgriechischen
„adamas“ her – es bedeutet so viel wie „unbezwingbar“. Diamanten – der härteste natürliche Stoff der Welt – entstehen bei hohem Druck im Erdinneren – bei Temperaturen von 1.200 bis 1.400 Grad Celsius. Gemessen werden Diamanten in Karat. Ein Karat entspricht 0,2 Gramm
DreiViertel
der weltweit
geförderten
Diamanten werden in der Industrie verwendet, ein Viertel wird zu Schmuck verarbeitet
Der Teuerste
Der größte je gefundene Diamant – Cullinan – wurde 1905 in Südafrika entdeckt. Im Rohzustand wog er 3.106,75 Karat (621,35 g). Er wurde in Amsterdam in 9 große und 96 kleine Steine
gespalten. Die neun großen Diamanten sind heute Teil der britischen
Kronjuwelen
„Blutdiamanten“
Seit dem Jahr 2003 gibt es ein internationales Abkommen (Kimberley-Prozess). Es stellt sicher, dass nur Diamanten gehandelt werden dürfen, die mit Herkunftszertifikaten nachweisen können, aus keiner Konfliktregion zu stammen
„Wozu sollte man die Straße schmücken, wozu Schaufenster, wozu Schnickschnack?“ brummt Ratzersdorfer. Hier würden keine Juwelen an Privatkunden verkauft, sondern Diamanten im großen Stil gehandelt. Genauer: Jeden Tag im Wert von rund 260 Millionen Dollar. „Funktionalität“, das ist es, was dem 69-jährigen Händler mit einem Wiener Ur-Urgroßvater wichtig ist.
Strenge Kontrollen
Und Sicherheit natürlich: Das mit Barrieren geschützte Viertel – „da kommt nicht einmal ein Lkw durch“, versichert Ratzersdorfer – wird von Militär, Polizei, privaten Sicherheitsleuten und Kameras bewacht. Ohne strikte Kontrollen und Begleitung darf kein Besucher in Büros und Börsen.
Seit über 40 Jahren ist Carlo Ratzersdorfer im Diamanten-Geschäft. „Und ich werde ewig weitermachen“, sagt er in bestem Deutsch, bei dem noch ein Hauch weicher Wiener Sprachmelodie mitklingt.
Man muss gar nicht erst fragen, warum: Zur Bestätigung seiner Begeisterung holt der jung gebliebene End-60er einen seiner wertvollen Steine aus dem Tresor, legt Pinzette und Lupe zurecht und lässt das geschliffene Steinchen bewundern: „Das Maximale aus einem Rohstein herauszuholen, das Schleifen nach meinen Vorstellungen – das liebe ich am meisten an meinem Beruf“, schildert er.
16.000 Dollar beträgt der Wert des kleinen Steins, der auf dem Tisch liegt. 1,5 Karat. Unter der Lupe betrachtet: pure Schönheit.
Der Wert eines Diamanten bemisst sich nach den vier C: Colour, Cut, Clarity, Carat – Farbe, Schliff, Reinheit, Gewicht. „Noch wichtiger ist das fünfte C“, fügt Ratzersdorfer hinzu: „Confidence – Vertrauen“.
Und das noch viel mehr in Zeiten der Corona-Pandemie. Schon im ersten Lockdown im Frühling erlebte die Branche „eine schlechte bis katastrophale Phase mit Umsatzeinbrüchen bis zu 40 Prozent“, schildert der „Diamantaire“.
Denn wer spart, kauft keine Diamanten. Und wer für Notzeiten investiert, legt sein Vermögen selten in Diamanten an: Zu volatil ist die Bewertung der Edelsteine.
Perfektion
Antwerpens Tradition des Diamanten-Schleifens und Handelns ist über fünfhundert Jahre alt. Weil Europas Juden bis weit nach dem Mittelalter kein Land erwerben und viele Berufe nicht ausüben durften, konzentrierten sie sich auf den Handel – eben auch auf den mit Diamanten.
Das moderne Diamantenschleifen hatte zwar ein Bewohner der Stadt Brügge entdeckt, doch in Antwerpen brachte man es damit zur Perfektion. Die günstige Lage am Hafen tat ihr übriges.
Bis heute ist die Diamantenbranche ein wichtiges Standbein für Belgiens Wirtschaft – sie trägt zu fünf Prozent der belgischen Exporte bei und sichert insgesamt rund 30.000 Arbeitsplätze.
Doch wo früher orthodoxe Juden mit ihren typischen schwarzen Mänteln und Hüten das Straßenbild des Diamantenviertels dominierten, mischen heute mehr und mehr Inder mit. Sie bilden bereits die größte Gruppe unter den „Diamantaires“ von Antwerpen.Überhaupt hat sich in der Welthauptstadt des Diamantenhandels in den vergangenen Jahren vieles verändert. Geschäfte und Verkäufe werden in den Büros und vor dem Computer abgeschlossen. Die große, mit Marmorsäulen geschmückte Börsenhalle nahe Ratzersdorfers Büro ist dagegen fast leer.
Eine zehn Meter hohe Längswand aus Glas erinnert an Zeiten, als man sich noch nach dem besten Tageslicht zur Begutachtung der Steine richtete. Nordlicht musste es sein – „immer das beste Licht, egal, was man anschaut“, weiß der Händler.
Auch viele Schleifer sind aus Antwerpen verschwunden – Diamanten in Indien zu schleifen, ist mindestens zehnmal billiger. Aber das höchst spezielle Know-how, sehr große Steine zu schneiden und schleifen, ist in Antwerpen geblieben. „Dafür braucht man Monate“, schildert Ratzersdorfer, „es muss erst ein digitales 3-D-Modell angefertigt werden, ehe man sägen und spalten kann.“
Für das Schleifen „normaler Steine mit drei Karat Rohware und mehr“, führt der Experte weiter aus, brauche man vier bis sechs Wochen.
Zweitgrößter Rohdiamant
Auch der 2019 in Botswana entdeckte, zweitgrößte je gefundene Rohdiamant soll dem Vernehmen nach auf dem Weg nach Antwerpen sein und hier geschnitten werden. Der französische Luxuskonzern LVMH hat den etwa tennisballgroßen Stein mit 1.758 Karat für einen unbekannten Preis erworben.
Doch über Steine und Geschäfte anderer Leute redet Ratzersdorfer nicht gern. Da beschäftigt den Großhändler schon mehr die Frage, warum es für die Diamantenbranche kein modernes Marketing gibt.
Fast siebzig Jahre alt ist der Werbeslogan einer New Yorker Texterin, der bis heute von keinem besseren abgelöst wurde: „A diamond is forever“. (Ein Diamant ist ewig): „Und Marilyn Monroe’s: ‚Diamonds are a girl’s best friend‘ ist auch schon uralt“, wundert sich Ratzersdorfer. Offenbar so unvergänglich wie die Diamanten selbst.
Vergänglich aber sind die Strukturen im weltweiten Geschäft mit den Edelsteinen. Antwerpen kann sich nicht ausruhen. New York, Tel Aviv, Dubai und Mumbai beanspruchen immer heftiger ihr Stück vom großen Handelskuchen. Eines aber, ist sich Carlo Ratzersdorfer sicher, wird bleiben: Jeder Handel, auch unter den Indern in seiner Branche, wird wie schon immer per Handschlag und mit einem hebräischen „Mazal u Bracha“ besiegelt: „Glück und Segen“.
Kommentare