Bergkarabach: Mehr als 7.000 Menschen mussten Dörfer verlassen

In Kampfstellung: ein armenischer Soldat in der Nähe des Dorfes Taghavard in der Region Berg-Karabach
Der Konflikt zwischen der armenischen Exklave Bergkarabach und Aserbaidschan ist eskaliert. Das ist international relevant, haben doch unter anderem die Türkei und Russland ihre Finger im Spiel.

Seit Wochen haben Beobachter ihn befürchtet, nun ist er da, der neue Angriff auf Bergkarabach. Es handelt sich um einen Konflikt, der schon viele Jahre schwelt: Seit dem Zerfall der Sowjetunion streiten das christlich-orthodoxe Armenien und das muslimische Aserbaidschan, beides Ex-Sowjetstaaten, um die Region. Völkerrechtlich gehört Bergkarabach zu Aserbaidschan, doch die Mehrheit der Bewohner sind Armenier.

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Trotz internationaler Appelle zur Einstellung der Kampfhandlungen setzt Aserbaidschanseinen Militäreinsatz in der Konfliktregion Bergkarabach fort. Die am Dienstag begonnenen Militärmaßnahmen gingen erfolgreich weiter, teilte Aserbaidschans Verteidigungsministerium am Mittwoch mit. Kampfstellungen, Militärfahrzeuge, Artillerie- und Flugabwehrraketenanlagen sowie andere militärische Ausrüstung seien "neutralisiert" worden. Unabhängig ließen sich die Angaben nicht überprüfen.

Aserbaidschan will erst aufhören, wenn Armenier sich ergeben

Russische Nachrichtenagenturen meldeten unter Berufung auf das aserbaidschanische Präsidialamt, Staatschef Ilham Aliyev habe US-Außenminister Antony Blinken in einem Telefonat gesagt, sein Land werde den Einsatz erst dann stoppen, wenn die armenischen Kämpfer ihre Waffen niederlegten und sich ergeben.

Mehr als 7.000 Menschen aus 16 Orten in Berg-Karabach mussten am Dienstag ihr Zuhause verlassen. Die Menschen seien aus Gemeinden in den Regionen Askeran, Martakert, Martuni und Schuschi in Sicherheit gebracht worden, erklärte der Ombudsmann für Menschenrechte in Berg-Karabach, Gegham Stepanjan, am Dienstag auf Twitter (X).

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Demonstranten stoßen mit der Polizei zusammen, als sie den armenischen Premierminister Nikol Pashinyan im Zentrum von Eriwan zum Rücktritt auffordern

In einem blutigen Krieg mit 30.000 Toten hatte Armenien die Region in den Neunzigern erobert. Hunderttausende Aserbaidschaner wurden vertrieben, der Konflikt fror bis 2020 ein. Da kam es  zu wochenlangen, schweren Gefechten mit mehr als 6.500 Toten. Armenien musste im Zuge des Waffenstillstands große Gebiete aufgeben.

Massiver Aufmarsch

Zuletzt war dann wieder von einem massiven Truppenaufmarsch aserbaidschanischer Streitkräfte um Bergkarabach sowie an der Grenze zu Armenien berichtet worden. Auf der anderen Seite  äußerte Aserbaidschan sich besorgt über die Konzentration armenischer Truppen an seiner Grenze.

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Der erste Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan – damals noch Sowjet-Staaten – um Bergkarabach begann 1988 und dauerte sechs Jahre lang. 30.000 Menschen starben, Armenien siegte und 700.000 Aserbaidschaner wurden vertrieben.

Im zweiten Krieg im Jahr 2020 war  Aserbaidschan Armenien u. a. wegen türkischer und israelischer Drohnen sowie syrischer Söldner überlegen. Mehr als  6.500 Menschen kamen bei den sechs Wochen dauernden, schweren Gefechten ums Leben.

Russland ist eine Schutzmacht Armeniens und vermittelte 2020 einen Waffenstillstand. Die Türkei unterstützt hingegen Aserbaidschan.

Am Dienstag begann Aserbaidschan in Bergkarabach eigenen Angaben zufolge mit  „Anti-Terroreinsätzen“. Diese richten sich gegen armenische Kräfte, hieß es. Und: Es gehe um die „Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“ in der Region – Aserbaidschan will den im Waffenstillstand 2020 festgeschriebenen  Rückzug armenischer Truppen aus dem Gebiet nun gewaltsam durchsetzen. 

In Stepanakert, der Hauptstadt der umstrittenen Region Bergkarabach, waren laut Angaben eines AFP-Reporters Explosionen zu hören. „Im Moment stehen Stepanakert und andere Städte und Dörfer unter intensivem Beschuss“, hieß es von der Vertretung Bergkarabachs,  die in Armenien ansässig ist und auch von einer „groß angelegten Militäroffensive“ sprach.

Mehrere Städte Bergkarabachs seien nach Angaben örtlicher Behördenvertreter von Aserbaidschan angegriffen worden. Am Mittwochmorgen nach dem Beginn des Militäreinsatzes ist die Zahl der Toten nach örtlichen Angaben auf mindestens 27 gestiegen. Darunter seien mindestens sieben Zivilisten - darunter zwei Kinder.

Am Dienstagabend wusste man um 25 Opfer. "Mit Stand 20.00 Uhr gibt es 25 Opfer, darunter zwei Zivilisten, als Folge des umfassenden Terrorangriffs durch Aserbaidschan", schrieb der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach), Gegam Stepanjan, am Dienstagabend auf X (vormals Twitter).

Darüber hinaus seien in der Konfliktregion im Südkaukasus bisher mindestens 138 Menschen verletzt worden, darunter 29 Zivilisten, teilte Stepanjan mit. Aus sechs Orten seien Bewohner vor dem aserbaidschanischen Beschuss in Sicherheit gebracht worden. 

Einfluss von außen

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) schätzt die jüngsten Entwicklungen im Berg-Karabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan als "sehr explosiv und brandgefährlich" ein. Der Konflikt um Bergkarabach spielt sich außerhalb Europas ab, hat jedoch geopolitisch große Relevanz. So ist etwa Armeniens Nachbar Türkei seit jeher eine Schutzmacht Aserbaidschans, was mit der sprachlichen Verwandtschaft der beiden Länder zusammenhängt – die Aserbaidschaner sind größtenteils ein Turkvolk. Auch am Dienstag soll der türkische Verteidigungsminister dem aserbaidschanischen per Telefon Unterstützung zugesichert haben.

Russland hingegen ist eine Schutzmacht Armeniens. In den letzten Jahren hat sich  in Armenien aber  Frust angestaut. Man hat sich von Moskau vernachlässigt gefühlt, zudem übte Russland immer wieder massiv Druck auf Armenien aus, um eigene Interessen durchzusetzen.

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Hier befindet sich Bergkarabach

2013 etwa musste Armenien in letzter Minute ein Assoziierungsabkommen absagen, das es über Jahre mit der EU ausgehandelt hatte; stattdessen trat das Land der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion bei. Eine Geschichte, die nicht zufällig an die Ukraine erinnert – dort führte der Konflikt um ein EU-Assoziierungsabkommen zu den Maidan-Protesten. Der jetzige Premier Paschinjan strebte darum anfangs den Austritt aus  Wirtschaftsunion an.

Russland ließ Armenien 2020 warten

Beim Konflikt in  Bergkarabach 2020  war Moskau sehr lange untätig und ließ Armenien warten und warten – Paschinjan wäre auf Russlands  „Friedenstruppen“ angewiesen gewesen. Russland hat die dort zwar stationiert, ließ seinen Partner aber bei mehrmaligen Angriffen Aserbaidschans immer wieder hängen. Beim Waffenstillstand vermittelte Moskau.

Armenien hat angesichts der neuen Entwicklungen neben dem UN-Sicherheitsrat auch Russland  um Hilfe gerufen. Russland verhielt sich vorerst quasi-neutral: mit der Aufforderung,  Armenien und Aserbaidschan sollen die militärischen Aktionen einstellen und zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts zurückkehren.

Drohvideos aus Teheran

Und dann ist da noch der Iran, geografischer Nachbar von Armenien und Aserbaidschan. Seit Monaten veröffentlichen die Revolutionsgarden regelmäßig Drohvideos gegen Aserbaidschan. Würde es Armenien territorial angreifen, hätte dies für Aserbaidschan massive Konsequenzen. Einer der Gründe: Der Iran sieht das Land als möglichen Brückenkopf Israels im Falle einer direkten Konfrontation. Israel wiederum hat Aserbaidschan massiv mit Waffen beliefert.

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