Annäherung trotz Steinehagels

Dogs are seen near the barricade set up on the main bridge in the ethnically divided town of Mitrovica March 19, 2013. Serbia does not recognise Kosovo's 2008 secession, but is under pressure from the European Union to improve ties and help overcome a split between Kosovo's Albanians and a Serb enclave in the north over which Belgrade retained de facto control. Picture taken March 19, 2013. To match story KOSOVO-SERBIA/ REUTERS/Marko Djurica (KOSOVO - Tags: POLITICS ANIMALS)
Belgrad sucht einen Kompromiss mit Pristina – und rechnet mit Belohnung durch die EU.

Die wichtigste Brücke Mitrovicas ist mit Erdwällen blockiert. Die nördliche Seite der geteilten Stadt bewachen serbische Freiwillige, südlich des Flusses Ibar beobachten kosovarische Polizisten, KFOR-Soldaten und Eulex-Polizisten die angespannte Lage zwischen den beiden Stadtteilen.

Dabei ist die Brücke nicht unüberwindbar. Wer will, kann zu Fuß die Seiten wechseln – das aber tun in Mitrovica nur die wenigsten der hier lebenden rund 22.000 Serben und knapp 70.000 albanischen Kosovaren. Denn wer es wagt, riskiert schnell fliegende Steine und Prügel. Noch immer will die serbische Minderheit im äußersten Norden des Kosovos mit dem „Staat Kosovo“ nichts zu tun haben. Im Süden Mitrovicas hingegen wachsen Wut und Verbitterung darüber, dass in Kosovos Norden ein serbischer Parallelstaat nach seinen eigenen Regeln lebt und Kosovaren dort unerwünscht sind.

Für die Menschen in der ehemaligen Industriestadt Mitrovica würde sich vieles radikal ändern, wenn die laufenden Verhandlungen zwischen den Regierungen Serbiens und Kosovos zu einem positiven Ergebnis kommen. Zum mittlerweile achten Mal trafen gestern, Dienstag, in Brüssel der Belgrader Premier Ivica Dacic und sein kosovarischer Widerpart Hashim Thaci zusammen. Ein Abkommen, das die EU nur mit massivem Druck vor allem auf Serbien auf Schiene brachte, lag zum ersten Mal in greifbarer Nähe. Doch bis spät am Abend gab es keine Entscheidung.

Wortgefecht

Bei den stundenlangen Verhandlungen kam es sogar zu einem Wortgefecht. Auslöser war die Feststellung des serbischen Vizepremiers Alexsandar Vucic, dass der Kosovo in der Serbischen Verfassung stehe. „Wir haben eigene Verfassung und einen eigenen Staat“, konterte Thaci.

Die EU lockt Belgrad mit einer Belohnung: Bis 16. April, wenn die EU-Kommission ihren Fortschrittsbericht über die Kandidatenstaaten veröffentlicht, soll ein Kompromiss vorliegen. Dann könnte Serbien im Juni grünes Licht für EU-Beitrittsverhandlungen erhalten.
Dafür scheint die Belgrader Regierung eines ihrer größten Versprechen zu brechen – nämlich die „heilige serbische Erde“, den Kosovo, „nie aufzugeben“. Unerhörtes war zuletzt von Serbiens Premier Dacic, einem strammen Nationalisten, zu hören: „Es wurde gelogen, dass der Kosovo unser sei, so wurde es sogar in der Verfassung verkündet. Heute ist diese Verfassung nicht im Geringsten hilfreich.“ Pläne, den Kosovo zu teilen und dessen Norden an Serbien anzugliedern, wurden aufgegeben.


Zwar würde im Falle eines serbisch-kosovarischen Abkommens Belgrad den Kosovo weiterhin nicht als Staat anerkennen. De facto aber würde sich vieles ändern: Belgrad müsste seine Parallelstrukturen im Norden Kosovos auflösen. Polizisten, Lehrer, Ärzte, Müllmänner würden ihren Lohn nicht mehr von Belgrad, sondern von Pristina erhalten.

Annäherung trotz Steinehagels

Tiefe Gräben

Noch aber spießt es sich: Belgrad beharrt darauf, dass den serbischen Gemeinden im Norden und den Enklaven im Süden des Kosovo ein Zusammenschluss erlaubt wird, der ihnen weitgehende Selbstverwaltung erlaubt. Sie sollten, so verlangt es Serbien, einen eigenen Präsidenten und ein eigenes Parlament haben.

Das aber geht Kosovo zu weit. „Pristina wird niemals zustimmen, dass die Gemeinden gesetzgeberische Kompetenzen oder eigene Polizeieinheiten haben“, bremste Kosovos Premier Thaci.

Auf dem Papier haben er und sein serbischer Amtskollege zuletzt bereits Fortschritte erzielt. Seit einigen Monaten etwa managen kosovarische und serbische Polizisten und Zöllner gemeinsam die Grenze im Norden. Alle Zufahrtswege dorthin aber führen durch die fast immer von Serben blockierten Straßen nördlich von Mitrovica – weshalb die internationale Polizeimission Eulex aushelfen muss. Alle drei Tage fliegt sie in ihren Hubschraubern die kosovarischen Beamten zum Schichtwechsel.

Jüngster Staat Europas

Kosovos Unabhängigkeit
Nach dem Krieg 1999 und nahezu zehnjähriger Verwaltung durch die UNO deklarierte der bis dato jüngste Staat Europas im Februar 2008 seine staatliche Unabhängigkeit. Die serbische Minderheit im Süden des Landes hat sich mit dem ungeliebten kosovarischen Staat mittlerweile halbwegs arrangiert. Einer der Vize-Premiers Kosovos ist ein Serbe, serbische Parteien sind im Parlament vertreten. Die serbische Minderheit im Norden hingegen lehnt jede Zusammenarbeit mit Pristina ab, sie bezieht Löhne und Unterstützung aus Belgrad.

Die Kamera läuft, gleich wird Tomislav Nikolic, neuer Präsident Serbiens, aus dem Lift steigen. Catherine Ashton eilt dorthin, dreht sich plötzlich um und ruft: „Mein lieber Gott! Jemand muss mit mir kommen – ich weiß nicht, wie er aussieht!“ Und noch einmal, ganz laut: „Weiß irgendjemand, wie er aussieht?“

Der Fauxpas vom vergangenen Juni illustriert gleich mehrere Probleme der EU-Außenbeauftragten: Ihr Auftreten passt oft zum Image als Fehlbesetzung. Das verdeckt ihre Erfolge, man übersieht, dass auch andere an ihrer Stelle gescheitert wären. Wie viele EU-Kommissare Nikolic in der Woche nach seiner Wahl wohl erkannt hätten?

Schon Ashtons Bestellung 2009 war ein Gemurkse: Eine sozialdemokratische Britin sollte es sein, das schränkte die Auswahl ein. Es wurde Ashton, weitgehend unbekannt, außenpolitisch unerfahren. Gewünscht hatte man sich seit Langem einen echten EU-Außenminister. So bekam man nicht die Stimme Europas – sondern noch eine, und zwar eine leise.

„Ich hätte mir erwartet, dass sie stärker auftritt und öfter sagt, was sie selbst will – anstatt nur Vermittlerin zwischen 27 Staaten zu sein“, sagt die Grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek. „Ashton ist oft zu zögerlich.“ Ein Vorwurf, den man oft hört, wenn es um Ashton geht.

Gelobt wird sie hingegen für ihre Vermittlerrolle im Kosovo-Konflikt. Eine historische Einigung wäre Ashtons größter Erfolg – und der sichtbarste.

Denn auf der Habenseite hat sie auch etwas, das außerhalb Brüssels noch kaum wahrnehmbar ist: den Aufbau des Europäischen Auswärtigen Dienstes. „Eine Sisyphus-Arbeit“, sagt Lunacek, „die diplomatischen Kulturen der Kommission, des Rates und der Staaten unter einen Hut zu bringen.“

Mängel im System

Das wahre Problem, sagen Diplomaten, sei auch nicht die Person Ashton, sondern das System: Die EU-Staaten wollen ihre Außenpolitik nicht nach Brüssel abgeben. Siehe Mali, wo Frankreich voranmarschierte. Siehe Syrien, wo nur England den Rebellen längst Waffen liefern will. „Da würden viele scheitern“, sagt ein österreichischer Diplomat, „nur würden sie dabei lauter sein.“

In Brüssel plant man schon für Ashtons Nachfolger. Die sollen zwei Stellvertreter haben und mehr Kompetenzen. Außenhandel, Entwicklungszusammenarbeit und Nachbarschaftspolitik müssten „mehr ein Ganzes werden“, sagt Außenminister Michael Spindelegger.

Ashton selbst hat ihren Rückzug mit Ende 2014 schon angekündigt: „Es gibt Leute, die mit dem Amt Dinge machen können, die ich vermutlich nicht könnte.“

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