Kolumbien: "Angst siegte über die Hoffnung"

Nach 50 Jahren Krieg lehnten die Kolumbianer eine endgültige Konflikt-Beilegung überraschend ab.

"Im Ja-Lager herrschen Schock und Trauer, die Enttäuschung ist riesengroß." So beschreibt die österreichische EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek die Stimmung in Kolumbien am Tag eins nach dem Volksentscheid vom Sonntag, dessen Ausgang für alle überraschend kam: Mit einer hauchdünnen Mehrheit von nicht einmal 54.000 Stimmen (bei knapp 13 Millionen abgegebenen) wurde die Annahme des Friedenspaktes zwischen dem Staat und den linksgerichteten FARC-Kämpfern von 50,2 Prozent der Bürger abgelehnt. Lunacek, die als Teil einer zwölfköpfigen EU-Parlamentarier-Delegation in dem Andenstaat weilt, telefonisch zum KURIER: "Die Angst siegte über die Hoffnung."Mit dem Abkommen hätte der längste Konflikt Südamerikas beendet werden sollen, der 220.000 Menschen das Leben kostete und Millionen im Land vertrieben hat. Mehr als vier Jahre lang wurde im kubanischen Havanna um die Details gerungen. Die FARC sollte ihre Waffen abgeben und ins politische System eingegliedert werden, ehemalige Kämpfer, die – wenn überhaupt – nur milde bestraft werden hätten sollen, sollten eine Einmalzahlung in der Höhe von umgerechnet 610 Euro sowie zwei Jahre lang eine Basisrente erhalten.

Politik der Gefühle

Kolumbien: "Angst siegte über die Hoffnung"
Ulrike Lunacek
"Gerade die weitgehende Straffreiheit hat die Nein-Fraktion (um den ehemaligen Staatspräsidenten Alvaro Uribe) stark thematisiert. Und auch die finanzielle Unterstützung. Wobei für alles zusammengerechnet ,nur‘ so viel Geld aufgewendet werden hätte müssen, wie ein Tag mit Luftangriffen kostet", sagt Lunacek. Doch noch stärker verfangen habe die Argumentation, dass mit dem Deal das Land den Bach hinuntergehen werde und Zustände wie im benachbarten Venezuela drohten, wo es mittlerweile an allem mangelt.

Wie es jetzt weitergehen soll, ist völlig offen. Der amtierende Staatschef Juan Manuel Santos, der seine gesamte Amtszeit der Friedensinitiative gewidmet hat, will weiter für sein Projekt kämpfen: "Ich gebe nicht auf. Ich werde mich bis zum letzten Tag meiner Periode um den Frieden bemühen." Gleich am Montag schickte er Emissäre nach Havanna, um weiter zu verhandeln. Auch die FARC will sich an die Waffenstillstandsübereinkunft halten: "Wir wollen nur noch Worte als Waffen zum Aufbau der Zukunft nutzen", sagte Kommandeur Rodrigo Londono alias "Timoschenko".

Drohende Unregierbarkeit

Wichtig wäre es, auch für EU, die die Annäherung der beiden Seiten unterstützt, dass sich Befürworter und Gegner des Paktes sowie die Rebellen an einen Tisch setzten und einen Ausweg aus der Sackgasse fänden, so die österreichische EU-Mandatarin.

Kein leichtes Unterfangen, denn Santos, der seine bisher schwerste politische Niederlage einstecken musste, wird massiv geschwächt sein bis zum Ende seiner Amtszeit 2018. "Uribe wiederum wird den – aus seiner Sicht – Sieg bei dem Referendum als Wahlkampf-Auftakt für den Urnengang in zwei Jahren nutzen", betont Lunacek. Kolumbianische Politologen sprechen gar schon von einer drohenden Unregierbarkeit.

Gar nicht zufrieden mit dem Ausgang der Abstimmung ist auch die Wirtschaft. Die hatte sich von der Stabilisierung der Lage Auslandsinvestitionen erwartet, die Reisebranche hat mit Blick auf Touristen aus aller Welt offen für ein "Ja" geworben.

Wahlanfechtung?

Doch möglicherweise kommt alles doch noch ganz anders. Wegen des knappen Ausgangs wird über eine Wahlanfechtung spekuliert. Der Grund: Da Hurrikan "Matthew" am Sonntag wütete, konnten viele Stimmberechtigte nicht die Wahlzelle aufsuchen.

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