Kanzlerfrage: Wer, wenn nicht sie?

Keine leichte Zeit für die Kanzlerin: Sigmar Gabriel bringt sich gegen die CDU in Stellung, indem er Merkel attackiert, auch CSU-Chef Seehofer bringt die Parteichefin in Bedrängnis.
CSU und SPD setzen Angela Merkel unter Druck. Doch potenzielle Nachfolger sind rar.

Das sitzt. "Die Menschen wollen diese Berliner Politik nicht", sagt Horst Seehofer. Nur einen Tag hat sich der CSU-Chef Zeit gelassen, um Angela Merkel mitzuteilen, wer die Schuld an der Niederlage in Mecklenburg-Vorpommern hat: Nicht die Partei, sondern sie allein. Seine "mehrfache Aufforderung zur Kurskorrektur" in der Flüchtlingspolitik sei nicht aufgenommen worden, sagt er der Süddeutschen, das "desaströse" Ergebnis sei die Folge. "Die Lage für die Union ist höchst bedrohlich."

So weit, so Seehofer. Doch in diesen Tagen hat das Wort des CSU-Vorsitzenden noch mehr Gewicht als in Zeiten, in denen CDU und CSU sich aneinander rieben, ohne dass ein Dritter profitiert hätte. Nicht umsonst hat Merkel eine Mitverantwortung für die miserablen 19 Prozent eingeräumt, dafür, dass man von der AfD überholt wurde. Genutzt hat das vorerst nichts: Ihre einstigen Gefährten, die das Offenhalten der Grenzen vor einem Jahr entweder freudig (SPD) oder passiv-aggressiv (CSU) mittrugen, haben sich heftiger denn je auf sie eingeschossen: "Frau Merkel hat ihren Zenit eindeutig überschritten", lästert etwa SPD-Vize Ralf Stegner im Spiegel-Online-Interview.

Erinnerungen an Kohl

Die Schamgrenze scheint gefallen, Merkel wird in die Enge getrieben. Bis zum Parteitag im Dezember sollte sie für sich selbst geklärt haben, ob sie bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 antritt; es wäre ihre fünfte Kandidatur und mit Sicherheit die schwierigste. Derzeit scheint ihre Machtbasis gesichert, doch die nächsten Wochen könnten das ändern: Verliert die CDU bei der Berliner Landtagswahl – und das ist zu erwarten –, könnten sich auch ihre engeren Vertrauten abwenden. Manch einer fühlt sich an die Ära Kohl erinnert, um den es am Ende auch immer einsamer wurde.

Ein feiner Unterschied besteht zwischen beiden jedoch. Während Kohl zum Schluss von seinen Adepten gestürzt wurde – von Merkel an vorderster Front –, ist seine Nachfolgerin seit Jahren darauf bedacht, niemanden so gefährlich werden zu lassen. Karl-Theodor zu Guttenberg, einst Favorit auf die Nachfolge, weilt seit seinem Plagiats-Dilemma im selbst gewählten US-Exil; Kronprinzen wie Friedrich Merz, Christian Wulff oder Roland Koch sind längst vergessen.

Kanzlerfrage: Wer, wenn nicht sie?
German Defence Minister Ursula von der Leyen points during her visit of the Bundeswehr ABC defence battalion 750 in Bruchsal, Germany, August 10, 2016. REUTERS/Ralph Orlowski
Übrig bleiben nur jene, die ihr schon immer die Stange halten: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die seit jeher als Merkels Favoritin gilt, aber inhaltlich die selbe Politik vertritt wie ihre Chefin – das macht eine Nachfolge schwierig.
Kanzlerfrage: Wer, wenn nicht sie?
Julia Kloeckner Christian Democratic Union (CDU) deputy head and top candidate in the Rhineland-Palatinate state election, addresses a news conference at CDU party headquarters in Berlin, Germany March 14, 2016. REUTERS/Fabrizio Bensch
Daneben Julia Klöckner, die smarte Hardlinerin, die den Konservativen besser zu Gesicht stünde – sie musste aber ob ihrer Wahlschlappe in Rheinland-Pfalz in die hinteren Ränge rücken, ihr fehlt es an Unterstützern.
Kanzlerfrage: Wer, wenn nicht sie?
German Finance Minister Wolfgang Schaeuble speaks at a meeting at the lower house of parliament Bundestag on 2017 budget in Berlin, Germany, September 6, 2016. REUTERS/Stefanie Loos
Der Merkel-treue Innenminister de Maiziere wäre nur ein Übergangskandidat, ebenso wie Wolfgang Schäuble, der sich selbst schon mal als Nachfolger ins Spiel brachte. Momentan versucht er das Parteiimage aufzubessern – indem er Steuererleichterungen nach der Wahl angekündigte. Nachwuchshoffnungen wie Finanzstaatssekretär Jens Spahn sind der Partei zu unerfahren, und dass Seehofer selbst für die CSU ins Rennen geht, glaubt man nicht einmal in Bayern – zu groß wären die Schmerzen bei einer Trennung von CSU und CDU.

Nichtsdestotrotz: Merkels Nimbus der Unantastbarkeit ist weg. Ihr bleiben nur zwei Optionen: Entweder sie bleibt auf Kurs, tritt 2017 an, wenn auch unter Schmerzen. Oder sie geht und hinterlässt eine klaffende Wunde, nicht nur in der CDU. Auch ihre Kritiker würden darunter leiden – ihnen würde das Feindbild fehlen, von dem sie zehren.

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