Israel und die Hisbollah: Dem Feind täglich ins Fenster schauen
Die neuen bunten Häuser in der Nachbarschaft, über die weiß Josef nur allzu gut Bescheid. Wann sie gebaut wurden, wie tief die Keller sind und vor allem, wer dafür bezahlt hat. „Das sind alles Leute von der Hisbollah“, erzählt der 77-Jährige, „die sind nicht hier, um zu arbeiten, sondern um den Krieg vorzubereiten, gegen Israel.“
Israel, das reicht genau bis dorthin, wo Josef gerade steht. Es ist der Kibbuz Misgav Am, und der liegt so haarscharf an der Grenze zum Libanon, dass die Mitglieder auf ihren Feldern immer wieder unter Beschuss von der anderen Seite kommen. Denn dort drüben ist Feindesland unter Kontrolle der schiitischen Hisbollah-Miliz, und die ist – auch darüber weiß man hier im Kibbuz Bescheid – bestens gerüstet. Auf den Hausdächern wehen die Fahnen der Hisbollah und in den Kellern sind Waffen und Luftschutzbunker untergebracht, ist sich Josef sicher, „das sind alles Stellungen für deren Kämpfer“.
Tunnel nach Israel
Die Ruhe, die hier, an Israels Grenze zum Libanon seit Jahren herrscht, ist vor Weihnachten unterbrochen worden. Israels Armee enthüllte, dass die Hisbollah über Monate Tunnel gegraben hatte, die unter die Grenze führten. In einer Kommandoaktion, begleitet von entsprechend viel Medienrummel, wurden die Tunnel gesprengt.
Dass die Hisbollah sich nach Israel durchwühlte, das habe man hier im Kibbuz, schon lange gewusst, erzählt ein Bewohner, die Armee habe nur abgewartet, bis die unter der Grenze durch seien, dann wurde zugeschlagen.
Scharfschützen in Sichtweite
Abwarten und einander belauern, das tun beide Seiten in diesem Kalten Krieg rund um die Uhr. Josef etwa weiß genau, wo Scharfschützen der Hisbollah postiert sind, wann sie drüben hinter den Fenstern auftauchen. Sicher fühlt er sich trotzdem, auch wenn er im Kibbuz direkt an der Grenze entlangspaziert: „Unsere Armee überwacht da drüben jeden Meter. Ständig sind Drohnen in der Luft.“ Die Hisbollah wisse ganz genau, dass jede Aggression sofort erwidert werde: „Der Scharfschütze, der gibt sicher nur einen Schuss ab.“ Wie zur Bestätigung läuft ein paar Meter näher zur Grenze gerade die Wachablöse bei den israelischen Soldaten, die derzeit im Kibbuz stationiert sind.
Josef, in den 1940ern als Kind von Holocaust-Überbenden aus Holland nach Israel gekommen, harrt seit Jahrzehnten hier an dieser Grenze aus. Er hat viel Krieg gesehen: israelische Militäroffensiven, Guerillakrieg unter christlichen und muslimischen Milizen, aber auch eine Zeit, in der an dieser Grenze gute Nachbarschaft herrschte. „Wir waren regelmäßig drüben zu Besuch, in den christlichen und in den muslimischen Dörfern.“
Erinnerung an bessere Zeiten
Damals, vor der Jahrtausendwende, war der Südlibanon unter militärischer Kontrolle Israels. Den Frieden unter den Nachbarn störte das kaum. Man war, erinnert sich Josef, oft auf Hochzeiten oder anderen Festlichkeiten eingeladen. Viele Libanesen kamen regelmäßig zur Erntezeit zum Arbeiten in den Kibbuz, auch der Schmuggel, erinnert sich ein anderer Bewohner, funktionierte reibungslos. Heute muss man Arbeiter etwa aus Ostasien engagieren.
Hisbollah rückte nach
Im Jahr 2000 war es mit der guten Nachbarschaft endgültig vorbei. Israels Armee hatte endgültig genug von dem immer sinnloseren Engagement in einer immer feindlicheren Region. In einer Nacht, erinnert sich Josef heute noch, sei das Truppenkontingent draußen gewesen – „direkt dahinter kam die Hisbollah“.
Kein Vertrauen in UNO
Von den damaligen Bewohnern in den Dörfern sei kaum einer noch da. Die Schiitenmiliz setzte in jedes Haus ihre eigenen Leute oder sorgte zumindest dafür, dass jeder wusste, wer von jetzt an das Sagen hatte. Sogar in den christlichen Dörfern – auch die kann man hier von der Grenze aus sehen – gab es bald keinen Widerstand mehr. Man arrangierte sich zwangsläufig. Die libanesische Armee räumte ihre Stellungen, in die auch sofort die Kämpfer der Hisbollah einzogen. Die UNO-Truppen, die nach dem Abzug stationiert wurden, schauten tatenlos dieser Machtübernahme zu. Auf die Blauhelme, scherzt ein Kibbuzbewohner sarkastisch, sei hier ohnehin nie Verlass gewesen: „UN, bei uns heißen die nur United Nothing („Vereintes Nichts“).“
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