Amerikanisch-russischer Zwist in politisch heiklen Zeiten

Demonstrativer Schulterschluss: US-Präsident Obama und NATO-Generalsekretär Stoltenberg.
Während die NATO in Warschau tagt, weisen Moskau und Washington gegenseitig Diplomaten aus.

Über vermehrte Observierung und sogar Schikanen seiner Vertreter in Russland klagt Washington seit Beginn der Ukraine-Krise 2014. Der Angriff eines russischen Polizisten auf einen US-Diplomaten in Moskau machte das Maß offenbar voll: Zwei russische Diplomaten wurden als Reaktion aus den USA ausgewiesen. Der Angriff erfolgte bereits am 6. Juni, die Ausweisung am 17. Öffentlich bekannt wurde beides ausgerechnet am Samstag. Und da gab dann Moskau wiederum seinerseits die Ausweisung von zwei US-Diplomaten bekannt – just am zweiten Tag des NATO-Gipfels in Warschau. Die Lage dort wiederum hatte ein russischer Kolumnist am Vorabend mit einem einzigen Satz derart beschrieben: "Wir reden nicht mit, sie dafür umso mehr über uns."

"Kein legitimes Gremium mehr"

Kommenden Mittwoch soll an sich der NATO-Russland-Rat tagen. Der Kreml-Berater Sergej Karaganow sagte jetzt in einem Interview mit dem Spiegel jedoch, der Rat sei "kein legitimes Gremium mehr". Als man ihn gebraucht habe, sei er nicht vorhanden gewesen.

Mit der Stationierung von vier Bataillonen der NATO-Allianz zu je rund 1000 Mann in Polen und im Baltikum, von Kampfschiffen im Schwarzen Meer und Raketenabwehrstellungen in Rumänien will das westliche Militärbündnis Russland künftig in Schach halten.

Moskau sieht dadurch das militärische Gleichgewicht in Osteuropa zerstört und wird, wie Kremlchef Wladimir Putin schon im Vorfeld des Gipfels drohte, "adäquat" reagieren. Das Verteidigungsministerium will dazu zwei Divisionen an die Grenzen in Südrussland verlegen und bis Herbst in Westrussland bei Smolensk eine Brigade mit 10.000 Mann stationieren. Truppen, die derzeit 1500 km von der finnischen Grenze entfernt stehen, sollen dorthin zurückkehren, sollte das Land NATO-Mitglied werden.

Die NATO setze falsche Prioritäten, so Außenamt und Verteidigungsministerium. Die Beschlüsse von Warschau, so der Chef des Duma-Verteidigungsausschusses, Wladimir Komojedow, seien zwar keine reale Bedrohung. Russlands Streitkräfte, seien andere als vor 20 Jahren: Modern, mobil, gut ausgebildet. Was verärgert, ist die politische Komponente: Die Stoßrichtung gegen Russland.

Der NATO-Gipfel, so auch Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow, sei der Versuch einer Schein-Konsolidierung auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners: Gegnerschaft zu Russland. EU wie NATO würden dennoch erodieren. Gemeint waren Tschechiens Pläne, per Referendum über einen Doppel-Tschexit (Austritt aus EU und NATO) abstimmen zu lassen. Russische Medien berichteten mit Häme und Liebe zum Detail.

Mit Ende des Warschauer Vertrags, so Putin erst kürzlich erneut, sei der NATO die Existenzgrundlage abhandengekommen. Die Bemühungen Russlands, so Kremlkritiker, aus Ex-Sowjetrepubliken eine Pufferzone zu formen, seien indes gescheitert.

Die Ukraine, schreibt die Nesawissimaja Gaseta, sei der Grund für die neue Eiszeit. Tauwetter sei daher nur durch einen Kompromiss möglich: Gegen Aufhebung der Sanktionen und Garantien, dass Kiew erst in sehr ferner Zukunft EU- wie NATO-Beitritt angeboten wird, lässt Moskau den Donbass fallen.

Neben dem Umgang mit Russland standen bei dem NATO-Gipfel in Warschau eine ganze Reihe an Beschlüssen zu anderen Themen an. Vor allem, was den Kampf gegen den IS angeht. So beschloss die NATO eine Ausweitung der Ausbildungsmission für irakische Sicherheitskräfte im Kampf gegen den IS. Künftig sollen diese nicht wie bisher im Ausland sondern auch im Irak selbst trainiert werden. Im Kampf gegen den IS sollen künftig auch AWACS-Aufklärungsjets zum Einsatz kommen. Der NATO-Einsatz in Afghanistan wurde indes um ein Jahr verlängert. Zudem beschloss die NATO eine Ausweitung des Mandats ihrer Verbände im Mittelmeer. So sollen NATO-Schiffe künftig auch bei der Sicherung der Seegrenzen zum Einsatz kommen können – vor allem vor der Küste Libyens

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