Ambivalentes Gedenken an Einmarsch sowjetischer Truppen

Mit historischen Fotos wird in Prag und andernorts der Niederschlagung des Prager Frühlings gedacht
Heute vor 50 Jahren wurde der Prager Frühling mit Waffengewalt beendet. Gedenkfeiern prägen den Tag, die Politik schweigt.

„Das Gebet für Marta“. Beim Anhören des Liedes läuft es auch heute noch den meisten Tschechen und Slowaken kalt über den Rücken. Die Hymne nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die ČSSR, für den damaligen Popstar Marta Kubišová komponiert, wurde sofort zum Symbol des Widerstandes in der Zeit nach dem 21. August 1968. Ein paar Wochen später war das Lied verboten und Marta für Jahrzehnte mit Berufsverbot bedacht. Heute Abend wird Kubišová wieder ihr Gebet vortragen, die heute 75-jährige Künstlerin bildet den Höhepunkt beim „Konzert 68“ an diesem Dienstag am Prager Wenzelsplatz.

Bei dieser großen Gedenkveranstaltung ertönen auch alle anderen Protest-Lieder aus dieser bewegten Zeit. Es wird der Opfer der Okkupation gedacht. Im Hintergrund der Festtribüne wird die frisch renovierte Fassade des Nationalmuseums angeleuchtet. Die sowjetischen Soldaten hielten das Gebäude für das Parlament und nahmen es unter Beschuss. Die Einschusslöcher sind konserviert worden.

Gedenkveranstaltungen finden im ganzen Land statt, auch viele kleine Gemeinden organisieren Ausstellungen mit Fotos und Gegenständen aus der Zeit. In Brünn wurden auf die Fassade der Universität vier Nächte lang Filmdokumente projiziert. Vielerorts werden Messen gelesen.

Der Tschechischer Rundfunk Prag, Schauplatz des ersten Angriffs von sowjetischen Soldaten mit mehreren Toten, sendet eine 24-stündige Dokumentation über die Belagerung und Besetzung der strategisch wichtigen Institution.

Für Zeman „Arbeitstag“

Die offiziellen Repräsentanten Tschechiens und der Slowakei halten sich eher zurück. Präsident Miloš Zeman, ein Putin-Versteher, ließ ausrichten, dass der Dienstag für ihn ein Arbeitstag sei. Eine offizielle Erklärung zum Jahrestag gibt es auch nicht. In Tschechien sind die Kommunisten, die den Einmarsch nie verurteilt haben, als stille Partner wieder an der Macht. In der Slowakei sind es wiederum die rechten nationalen Parteien, die es sich mit Russland nicht verscherzen wollen. Nur der slowakische Präsident Andrej Kiska wird eine Ansprache halten.

Im Vorfeld des Jubiläums haben alle Medien Serien, Analysen, Zeitzeugenberichte veröffentlicht. Durchaus auch konträre Meinungen. Viele bewerten die damalige Politik als hoffnungslos naiv. Der spätere US-Außenminister Henry Kissinger soll den damaligen Außenminister Jiří Hajek gewarnt haben: „Fragt vorher in Moskau, welche Reformen sie euch durchgehen lassen, sonst marschieren die Russen ein. Ihr gehört nicht in unsere (westliche) Sphäre.“

Glaube an Konterrevolution

Heute glauben immer mehr Russen, dass in der ČSSR 1968 eine Konterrevolution im Gang war und deshalb die Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen notwendig gewesen sei. Laut Umfragen hat sich ihre Zahl in den vergangenen zehn Jahren auf ein Drittel erhöht.

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