Alte Koalition, schlechter Stil

Matthias Strolz, Eva Glawischnig: Die Regierungs- Reservisten exerzieren neuen Politik-Stil vor
Wie die rot-schwarze Koalition das Ansehen der Politik beschädigt. Und wie Grüne und Neos mit positiver Sachlichkeit Punkte sammeln.

Das Schlüsselerlebnis war ein Besuch in einer Vorarlberger Schule. Um das Gespräch in Gang zu bringen, sagte Matthias Strolz zu den Schülern: "Steckt’s die Köpf’ zusammen und denkt’s einmal nach, was Euch zum Thema Politik einfällt."

Nach der Denkpause sagten die Schüler: "Korruption, Stillstand, Lügen."

Seit diesem Erlebnis hat sich der Neos-Chef eines vorgenommen: einen anderen Stil in der Politik zu leben. Seine Parlamentsreden beginnt Strolz stets mit einem positiven Satz. Mal lobt er die Regierung für einen Fortschritt, mal verteilt er Komplimente an die politische Konkurrenz. Er freut sich mit Eva Glawischnig über ihr gutes EU-Wahlergebnis, bekennt öffentlich, dass er FPÖ-Chef Strache "persönlich sympathisch" findet und wünscht sich Sebastian Kurz als nächsten Bundeskanzler.

Die Neos-Anhänger seien davon nicht irritiert, beteuert Strolz, sondern vielmehr überzeugt, dass ein neuer Stil unumgänglich sei: "Wenn ein privates Unternehmen nur eines der Themen Korruption, Stillstand, Lügen an Bord hat, ist es geliefert. Die Politik hat alle drei. Wenn wir das nicht ändern, wenn die Politik weiterhin so devastiert bleibt, wie sie ist, werden wir nichts zusammen bringen."

Ähnlich sieht es der Unternehmer Lothar Lockl, früher Pressesprecher von Alexander Van der Bellen: "In der Wirtschaft redet kein Konkurrent über einen anderen derart abwertend wie Politiker, die mitunter sogar in einer gemeinsamen Regierung sitzen."

Durch derart systemische Ehrabschneiderei haut sich die Politik ihr eigenes Image zusammen und verhindert darüber hinaus eine dringend nötige personelle Auffrischung. Kaum jemand, der nicht im Funktionärskader hart gesotten wurde, will noch in die Politik gehen. Wer möchte sich schon täglich anschütten lassen?

Ein besonderes Exemplar von Uralt-Funktionär ist ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel. Den Koalitionspartner SPÖ bezeichnet der ÖVP-Sprecher in Kalter-Kriegs-Rhetorik als "Sozialisten". Das "S" in SPÖ steht laut Blümel wahlweise für "Schuldenmachen", "Schlag ins Gesicht der Jungen", "Schönfärben", "Stillstand" oder "Scheinentlastung". Seinem SPÖ-Gegenüber Norbert Darabos sagt Blümel "hitzebedingte Verbalergüsse" nach und textet: "Meiden Sie besser die Sonne, Herr Darabos!"

Man fragt sich: Wenn die ÖVP das alles ernst meint, wie kann sie dann mit der SPÖ in einer Regierung sitzen? Und wenn sie es nicht ernst meint, wieso sagt sie es dann?

Wenig imagefördernd erscheint auch die verbreitete Usance, dass diejenigen, die an den Schalthebeln der Macht sitzen, ständig Forderungen an sich selbst erheben.

Letzte Woche etwa geißelte Reinhold Mitterlehner im Standard den Sparkurs bei den Universitäten. Als ob er nicht der zuständige Wissenschaftsminister wäre und mit seiner Stimme im Ministerrat die Bundes-Budgets abgesegnet hätte.

Josef Ostermayer geisterte tagelang durch die Medien mit der Aufforderung an die Regierung, endlich Stillstand und Hickhack zu beenden und die Arbeit aufzunehmen. Klingt irgendwie nach Selbstgespräch, Ostermayer ist bekanntlich Regierungskoordinator und Kanzleramtsminister.

Gekrönt wird das Ganze von Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger, indem sie sich ständig gegenseitig auffordern, die Steuern zu senken und Reformen zu machen.

Was soll man sich dabei denken?

Dass es auch anders geht, exerzieren die Grünen in den mittlerweile fünf Landesregierungen vor, in denen sie vertreten sind. Das übliche Wadlbeißen und Haxlstellen ist aus keiner dieser Koalitionen überliefert. Als der Wiener SPÖ-Sekretär Christian Deutsch vergangene Woche seine Funktion zurück legte, machte der Grüne David Ellensohn folgende Aussendung: "Deutsch ist ein politischer Vollprofi, auf dessen Wort man sich verlassen kann. Ich bedanke mich für die gute Kooperation und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit im Gemeinderat."

Der zivilisierte Umgangston bedeutet jedoch nicht, dass die Grünen ein leichter Koalitionspartner wären. Der Unterschied besteht darin, dass sich die Grünen an der Sache orientieren, das dafür zielstrebig. Die ÖVP musste Tempo 80 auf Salzburger und Tempo 100 auf Tiroler Autobahnen schlucken. "Das ist echt hart", stöhnt ein schwarzer Abgeordneter aus den Bundesländern. Und die Wiener SPÖ kann Klagelieder über Fahrradwege und Fußgängerzonen singen. Zugegeben: Die Verkehrspolitik der Grünen trifft nicht den Massengeschmack, aber man kann ihnen nicht vorwerfen, dass sie nichts wollen und nur Stillstand und Machterhalt betreiben.

Strolz glaubt, dass sich mit dem absehbaren Ende der rot-schwarzen Bundes-Koalition die Chance für eine neue politische Kultur eröffnen wird. Ein Persönlichkeitswahlrecht, eine Stärkung der Kanzler-Rolle und ein Verbot von vorzeitigen Neuwahlen sollen das politische System für die neuen Zeiten, in denen es verschiedene Arten von Regierungen – von Dreier-Koalitionen bis zu Minderheitskabinetten – geben wird, fit machen.

Langsam zieht auch in den alten Parteien neues Denken ein. So regt Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser an, die Grünen in die Bundesregierung zu holen: "Why not?"

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