Alle testen, kein Lockdown? Das slowakische Corona-Experiment
Nahezu die gesamte Bevölkerung auf das Coronavirus testen, um einen harten Lockdown zu vermeiden? Diese weltweit einzigartige Strategie fährt die Regierung der Slowakei. Vergangenes Wochenende wurden 3 Millionen der insgesamt 5,5 Mio. Einwohner per Schnelltest untersucht, kommendes Wochenende sollen die Massentests weitergehen.
Aufgerufen sind alle in der Slowakei lebenden Menschen zwischen 10 und 65 Jahren, die Teilnahme ist offiziell freiwillig. Allerdings müssen Personen, die kein negatives Testergebnis vorlegen können, künftig mit strengeren Beschränkungen leben. Auch von verpflichtender Quarantäne war die Rede.
„Wir haben die große Chance, Europa und der Welt zu zeigen, dass es auch anders geht, ohne Schließung der Wirtschaft und Millionen Arbeitslose“, bewirbt der seit März regierende Premier Igor Matovic die Strategie. Doch sind Massentests wirklich die Lösung?
Am Samstag und Sonntag wurden landesweit rund 30.000 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet, ein Prozent aller Test-Teilnehmer. Die übrigen 99 Prozent haben nun ein Zertifikat, dass sie als corona-negativ ausweist.
Falsche Sicherheit
Der große Haken daran: Bei den verwendeten Tests handelt es sich um Antigen-Tests, die zwar viel schneller ausgewertet, aber deutlich weniger zuverlässig sind als die gängigen PCR-Tests. Infizierte mit geringer Virenlast werden nicht zuverlässig erkannt. Die slowakische Opposition warnt daher, dass die Massentests die Corona-Krise sogar verschlimmern könnten: Negativ Getestete könnten sich in falscher Sicherheit wiegen und weniger vorsichtig sein.
Ein weiterer Kritikpunkt sind die hohen Kosten und die aufwändige Logistik des Test-Programms.
Angesichts der unerwartet wenigen entdeckten Corona-Infizierten spricht die Opposition von einer Verschwendung von Steuermitteln. Zahlreiche Gemeinden wollen nun die für die Tests aufgewendeten Gelder vom Staat zurückfordern und drohen, sich an der zweiten Runde der Massentests nicht mehr zu beteiligen.
Dazu kommt, dass die Regierung bisher nicht zur Gänze klargestellt hat, wie die Testergebnisse genau verwertet werden. Im Lebensmittelgeschäft soll etwa auch künftig jeder einkaufen können, im Blumenladen dagegen nur mit negativem Corona-Bescheid. Wer das kontrollieren darf, ist offen.
Ob in Autos oder Containern - die Testung nahezu aller Einwohner ist logistisch äußerst aufwändig
Am Wochenende gab es vor manchen Teststellen lange Warteschlangen, wie hier in Bratislava
Die Auswertung der Schnelltests dauert nur rund 20 Minuten, deren Genauigkeit ist aber umstritten
Bei all der Kritik sind die Tests auch in der Bevölkerung umstritten. „Die Mehrheit der Leute findet sie zwar okay“, berichtet der Slowake Peter Horvath dem KURIER aus seinem persönlichen Umfeld. Vor allem in sozialen Medien werde aber viel Ärger laut.
Bemängelt wird dort nicht nur, dass ohne negativem Attest Nachteile im Alltag drohen, sondern auch die Durchführung der Massentests. Da zu wenig slowakisches Personal zur Verfügung steht, unterstützen 30 österreichische Bundesheer-Sanitäter und rund 200 Militär-Sanitäter aus Ungarn die slowakischen Behörden an den landesweit rund 5.000 Teststellen. „Fremde Armeen auf slowakischem Boden“, hieß es in kritischen Kommentaren, das ginge eindeutig zu weit.
"Lockdown nicht ausgeschlossen"
„Ich habe am Samstag rund eine Stunde für den Test gebraucht“, erzählt Horvath, der sich in der westslowakischen Stadt Galanta testen ließ. „Zuerst bin ich 40 Minuten in der Schlange gestanden, dann habe ich ca. 20 Minuten auf das Ergebnis gewartet.“ In anderen Landesteilen führte der große Andrang zu deutlich längeren Wartezeiten, in der Hauptstadt Bratislava mussten bis zu drei Stunden eingeplant werden.
Horvath sieht die Tests grundsätzlich positiv. Ein kompletter Lockdown würde viel teurer kommen als die Massentests, glaubt der 23-Jährige. Er gibt aber zu Bedenken, dass ein Lockdown trotz Tests weiter nicht ausgeschlossen sei. Immerhin stiegen die Corona-Zahlen in der Slowakei zuletzt wie im Rest Europas stark an. Insgesamt wurden bisher 62.000 Infizierte gezählt, 219 Menschen starben.
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