Alle Politiker fürchten die Bauern
Die Furcht vor den Bauern kennt keine politischen Grenzen. "Ja natürlich habe ich Angst, ich könnte eine Flasche ins Gesicht geschleudert bekommen." Der Spruch stammt von einem Politiker der konservativen Opposition, der die wichtigsten Bauernverbände nahestehen. Und der sich nicht zu einem Treffen mit zornigen Viehzüchtern wagte.
Umso vorsichtiger gebarte sich der sozialistische Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll. Obwohl von hünenhaftem Körperbau und aus der Bretagne stammend, zögerte Le Foll seine Begegnung mit den Bauern hinaus. Diese hatten in der Vorwoche in Westfrankreich das Straßennetz lahm gelegt. Dann kam es doch noch, scheinbar, zu einer Einigung. Staatschef François Hollande verkündete Abgabensenkungen. Der Lebensmittelhandel versprach den Viehzüchtern Preiserhöhungen.
Trotzdem sprang der Bauernaufstand auf Südfrankreich über. Es kam zu Straßenschlachten mit der Polizei. Stoßtrupps durchkämmten Supermärkte auf der Suche nach Lebensmitteln "ohne Herkunftsangabe". Gestern, Montag, nahmen Bauern an den Grenzen zu Deutschland und Spanien Stellung. Hunderte Lkw, deren Ladung als "Dumping-Importe" bezeichnet wurde, mussten umkehren. Minister Le Foll mahnte, "Frankreich exportiert in diese Länder".
Brachiale Bauernproteste haben in Frankreich Tradition, aber diesmal hat die Krise ein extremes Ausmaß erreicht. In fast allen Branchen übersteigen die Gestehungskosten die Preise. Auf der Anklagebank steht der Lebensmittelhandel. Dieser hat aber die Preise in geringerem Ausmaß als in vergleichbaren europäischen Ländern gesenkt.
Es sind vor allem Konkurrenten aus Deutschland, Holland und Dänemark, die mit durchrationalisierten Mega-Farmen und Massentierhaltung Frankreichs Landwirte bedrängen. Diese haben zwar auch meistens technologisch aufgerüstet und sich dafür schwer verschuldet, sie haben aber nicht die Dimensionen industrieller Mastbetriebe erreicht, die in Frankreich verpönt bleiben.
Selbstmorde
Gleichzeitig müssen die Franzosen höhere Sozialabgaben leisten, in deutschen Agrar-Großbetrieben sind Arbeitskräfte aus Osteuropa bei Niedriglöhnen tätig. Durch das russische Embargo auf EU-Produkte ergießt sich diese Billigproduktion verstärkt auf Frankreichs Markt. Dieser wurde auch durch das Ende der Milchquoten-Regelung der EU aufgemischt.
Laut Minister Le Foll stünden zehn Prozent der Viehzüchter, das sind 25.000 Unternehmen, vor dem Ruin. Jeden zweiten Tag begeht ein Bauer Selbstmord. Das bäuerliche Einkommen ist pro Kopf in Frankreich zwischen 2005 und 2014 nur um sechs Prozent gestiegen, in der EU insgesamt um 34 und in Deutschland um 63 Prozent.
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