Alexandria Ocasio-Cortez: Yes she can?

Alexandria Ocasio-Cortez, für die einen Hoffnung nach Clinton, für andere linkes Schreckgespenst.

Wenn man sich das Terrain der amerikanischen Demokraten 20 Monate nach dem Hillary Clinton-Desaster als Wüste vorstellt, dann ist Alexandria Ocasio-Cortez die Oase, in der Milch, Honig und Hoffnung fließen. Der kometenhafte Aufstieg der entschlossenen Frau ist das Sommermärchen 2018.

Noch vor wenigen Monaten hat die 28-Jährige in einer New Yorker Bar Tacos und Tequila serviert. Heute wird ihr Charisma in TV-Shows und Kommentarspalten bereits zaghaft mit dem des jungen Barack Obama verglichen und beflügelt die Phantasien einer ebenso wütenden wie orientierungslosen Partei. Yes she can?

„Ich bin eine dieser Frauen, von denen man meint, sie hätten in der Politik nichts verloren“, heißt es in einem Video, mit dem sich die Latina parteiintern für einen Sitz im Kongress in Washington bewarb. Damals war die Frau mit Wurzeln in Puerto Rico nur in ihrem Wahlkreis in der New Yorker Bronx ein Begriff. Seit Ocasio-Cortez dort mit großem Vorsprung das Vorwahl-Ticket für die Zwischenwahlen am 6. November gewann und dabei ihren Konkurrenten Joe Crowley, einen seit 20 Jahren amtierenden politischen Goliath mit Geld und Verbindungen, pulverisierte, ist die „demokratische Sozialistin“ zur Lichtgestalt mutiert. Nur zu gern sehen manche bei den nach Hillary Clinton depressiven Demokraten einen Wink mit dem Zaunpfahl, die als verschlissen geltenden Parteigranden Nancy Pelosi und Chuck Schumer auszumustern, die Demokraten radikal zu verjüngen und noch radikaler nach links zu verschieben.

Sozialdemokratisch

Wie ihr großväterlicher Mentor Bernie Sanders, für den sie 2016 gegen Clinton Präsidentschafts-Vorwahlkampf machte, vertritt die studierte Politologin und Ökonomin einen Kurs, der in Europa unter „sozialdemokratisch“ laufen würde. Der in den USA gleichwohl bis tief in die demokratische Partei hinein Ängste vor einem staatsozialistischen Gängelkurs auslöst: gebührenfreie öffentliche Universitäten, gesetzliche Krankenversicherung für alle, Mindest-Stundenlöhne von 15 Dollar aufwärts, eine Job-Garantie für Menschen, die auf dem herkömmlichen Arbeitsmarkt nicht vermittelbar sind und Sozialleistungen wie Erziehungsurlaub und Krankengeld. Dazu tritt sie vehement für schärfere Waffengesetze, ein hautenges Korsett für Politikerspenden und eine Einwanderungspolitik mit humanem Antlitz ein.

Alexandria Ocasio-Cortez ist trotz ihres Alters keine Novizin. Neben dem Studium an der Universität von Boston in Wirtschaftswissenschaften und Internationalen Beziehungen arbeitete sie für den verstorbenen demokratischen Senator Ted Kennedy. Als der Vater, ein Architekt, an Krebs starb, engagierte sie sich in ihrem Heimat-Bezirk Bronx als Sozialarbeiterin und Lehrerin und gründete einen Kinderbuchverlag. Noch heute stottert sie den Kredit für ihre Studiengebühren ab.

Das Partei-Establishment ist in schockschwere Not gestürzt. Vor den Zwischenwahlen zum Kongress in rund 100 Tagen und der Neubesetzung von über 30 Gouverneursposten in den Bundesstaaten fürchten gemäßigte Demokraten einen Linksruck, der vor allem unabhängige Wähler verschrecken könnte. Stellvertretend für viele Parteigänger appellierte der frühere FBI-Chef James Comey: „Demokraten, bitte, bitte verliert nicht euren Verstand und schlagt euch auf die Seite der sozialistischen Linken.“ Weiße Trump-Wähler aus der Arbeiterklasse zurückzugewinnen, könne durchaus gelingen – aber nicht mit einer massiven staatlichen Umverteilungspolitik, wie sie Ocasio-Cortez einfordert.

Waffe gegen Trump?

Die Aktivistin ficht die beinharte Kritik nicht an. Sie fühlt sich von einem Mobilisierungseffekt getragen, den der mehrfach mit frauenfeindlichen Kommentaren auffällig gewordene Präsident landesweit selbst losgetreten hat. In ihrem New Yorker Wahlkreis, den Ocasio-Cortez im November voraussichtlich leicht gewinnen und damit jüngste Kongressabgeordnete in Washington wird, gilt ihr linker Polit-Cocktail jedenfalls als absolut trinkbar.

In weniger durchmischten, konservativeren, sprich: „weißeren“ Gegenden Amerikas, wo wie im gottesfürchtigen „bible belt“ nicht jeder auf eine junge Kosmopolitin wartet und Wahlen traditionell in der gemäßigten Mitte entschieden werden, haben Analysten wie der einflussreiche Publizist Brett Stephens in der New York Times allerdings große Zweifel: Eine linke Wende – schön und gut. Aber wie viele Wähler in der Mitte werden die Demokraten damit auf immer verlieren und so eine Fortsetzung der Ära Trump bis 2024 befördern?

Alexandria Ocasio-Cortez und der ehemalige demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders im Interview mit dem US-Sender CBS:

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