Aleppo wird sturmreif geschossen

Die Stadt erlebt schwere Kämpfe. Ein humanitärer Helfer und ein Bewohner berichten.

Streubomben, Phosphorbomben, Fassbomben, panzerbrechende Luft-Boden-Raketen, schwere Artillerie, Mörser – die Liste jener Waffen, mit denen die syrische Armee mit Unterstützung iranischer und russischer Verbände derzeit Aleppo sturmreif schießt, ist lange. Und im Vergleich zu dem, was die bis zu 300.000 eingeschlossenen Zivilisten im Osten der Stadt derzeit durchmachen, waren die ohnehin bereits grausamen vergangenen Jahre nahezu erträglich. "Massaker" ist ein vielfach benutztes Wort dieser Tage. Und immer öfter auch das Wort "Kriegsverbrechen".

Von "Angst und Chaos" spricht Franz Luef von Ärzte ohne Grenzen (MSF), der die Stadt gut kennt. Vor Jahren habe er bereits einmal die Meinung geäußert, dass es kaum schlimmer werden könne. Jetzt ist er überzeugt: "Es wird grausam werden." Die Vorräte an medizinischem Material, aber auch an Treibstoff für Stromgeneratoren würden schwinden. Die vorhanden Einrichtungen dem Strom an Verwundeten kaum mehr standhalten. Alleine am Freitag, so Luef, dem ersten Tag der Offensive, zählten die Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen 40 Tote. Mittlerweile sind es Schätzungen zufolge weit über 600.

Luef spricht von einem Krankenhausbetrieb im "Extrem-Modus". Von den acht noch mehr oder weniger arbeitenden medizinischen Einrichtungen in der Stadt, die von MSF unterstützt werden, sei jede einzelne bereits getroffen worden. Und allgegenwärtig sei die Angst, dass sie wieder getroffen werden. Das wirkt sich auf das medizinische Personal aus, aber auch auf die Menschen, die mittlerweile Angst hätten, Spitäler aufzusuchen, weil sie zu Zielen geworden sind. Ebenso verhält es sich mit Bäckereien. Auch sie wurden in der Vergangenheit vermehrt getroffen – obschon Bäckereien aus Mangel an Mehl ohnehin bereits nur mehr fallweise öffnen.

Armee-Aktivitäten

Diese Lage hat fatale Auswirkungen auf alle Lebensbereiche: Nahrung ist knapp, medizinische Güter gehen zur Neige, die Wasser-Versorgung ist zusammengebrochen.

Im Westen der Stadt sammelt sich indes die Armee anscheinend zu einem Sturm auf die Stadt.Wie ein Zivilist, der seinen Namen nicht nennen will, berichtet, sind in den vergangenen Tagen vermehrt Aktivitäten der Armee zu beobachten. Zumindest der Beschuss aus Rebellengebiet habe zuletzt merklich abgenommen, seit sich der Ring um den von Aufständischen besetzten Teil der Stadt zugezogen habe. Es klingt wie eine makabere Aufzählung, wenn er erzählt: "Heute ist es ruhig in meiner Region, bisher habe ich kein Bombardement gehört, nur einige Mörser vor zwei Stunden."

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