AKK und Nahles: "Wir irritieren regelmäßig"

AKK und Nahles: "Wir irritieren regelmäßig"
Partnerinnen und Konkurrentinnen. Der erste gemeinsame Auftritt von AKK und Nahles zeigte, was sie eint und trennt.

Da sitzen sie nun. Die eine Parteichefin im knallblauen Blazer, sachlich aber oft neblig formulierend, immer etwas vorsichtig. Die andere ganz in grau, dafür umso impulsiver. Es ist der erste gemeinsame Auftritt von Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Andrea Nahles (SPD). Wenig ist bisher über das Zusammenspiel der beiden bekannt, nur dass auf beiden die gleiche Last liegt: Sie müssen ihre angeschlagenen Parteien wieder nach vorne bringen. Unter einem ähnlichen Motto ("Retten diese beiden Frauen die Volksparteien?") stand auch die Veranstaltung von RBB-Inforadio, Süddeutscher Zeitung und Bertelsmann-Stiftung, die Kramp-Karrenbauer - kurz AKK - und Nahles aufs Podium brachten.

Zwar sind SPD und CDU noch weit von Verhältnissen wie in Frankreich entfernt, wo Sozialisten und Konservative tief abstürzten, aber die Umfragewerte wollen nicht so recht steigen. Die CDU steht stabil mal zwischen 30 und 32 Prozent, da hat auch die Wahl der neuen Vorsitzenden keinen Push gebracht. Allerdings wehrt sich AKK dagegen als Retterin stilisiert zu werden: Sie alleine könne nicht viel bewirken, da müssen auch viele andere mitmachen. Ja, da stimmt Andrea Nahles zu.

Reformerinnen ihrer Parteien

Ihre Kursänderung und die Vorschläge für eine Sozialstaatsreform kamen zwar intern gut an, aber deswegen schießen die Umfragewerte noch nicht durch die Decke. Dennoch wirkt sie hier im Humboldt-Carree, in Berlin-Mitte, zufriedener als noch vor einigen Monaten. Die Revolution gegen sie ist vorerst abgeblasen, die öffentlichen Querschüsse ihrer Vorgänger Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel scheinbar vergessen. Warum es ihr so gut geht? Mit der (theoretischen) Abkehr von Hartz IV habe sie "Ballast abgeworfen". Die Arbeitsmarktreformen, die einst unter Kanzler Schröder beschlossen, brachte zwar vielen Menschen Jobs, aber sie ließen den Niedriglohnsektor steigen und wurde von Wählern und Mitgliedern als "Verrat" empfunden.

Auch Kramp-Karrenbauer versucht sich seit Amtsantritt von alten Geistern zu lösen: Mit Blick auf das Hartz-IV-Trauma der SPD warnte sie früh: Migration dürfe nicht zur ewigen Debatte in der CDU werden. Im Februar lud sie schließlich Experten, Funktionäre und Mitglieder ins Adenauer-Haus ein, um die Flüchtlingspolitik aufarbeiten - ohne Kanzlerin Angela Merkel. Zwar befinden sich die Erkenntnisse - wie bei den Sozialreformen der SPD noch auf Papier -, aber sie sollen ein Signal an Partei und Wähler sein: Wir wollen unser Profil schärfen. Man lässt sich also gegenseitig Raum für bessere Unterscheidbarkeit.

Das beide Frauen nicht in der Regierung sind, sei für die programmatische Arbeit ein großer Vorteil, sagt Nahles. "Wir haben beide mehrere Rollen", erklärt wiederum die CDU-Chefin. Sie wären Partner, wenn es um die Stabilität der Regierung geht, gleichzeitig seien sie politische Konkurrentinnen, "aber das eine schließt das andere nicht aus".

Konkurrentinnen im Superwahljahr 2019

Als Gegnerinnen haben sie in diesem Jahr gleich mehrere Wahlen zu bestreiten, an denen sie gemessen werden. Für die SPD wird der 26. Mai doppelt so brisant: Denn neben Europa wählt auch der Stadtstaat Bremen. Dort stellen die Genossen seit 70 Jahren den Bürgermeister, derzeit liegt aber die CDU vorne. So gut die Laune derzeit ist, so groß ist auch die Sorge, die Negativ-Spirale könnte sich im Falle einer Niederlage bei den Wahlen im Osten fortsetzen.

In der CDU hofft man ebenfalls, dass die EU-Wahl glimpflich ausgeht, bevor im Herbst Sachsen, Brandenburg und Thüringen wählen. Dort sind die Ausgangslagen unterschiedlich, was aber verbindet: Beide Parteien stellen in einem der Länder den Ministerpräsidenten und wollen diesen verteidigen: Die CDU in Sachsen, die SPD in Brandenburg.

Wogegen sich die Parteichefinnen wehren: Sie werden dort nicht als Ossi-Versteher auftreten, beide kommen aus dem Südwesten des Landes. "Wir irritieren ja regelmäßig durch Karneval die Republik“, sagt Nahles und im Saal wird gelacht. Sie spielt auf AKKs Toiletten-Witz über zu Intersexuelle an, nimmt sich aber selbst nicht aus. Ihre Gesangseinlage (Humba tätärä) am Politischen Aschermittwoch sorgte parteiintern für Kopfschütteln. Mit Kritik und Spott gehen beide aber erstaunlich gelassen um. AKK denkt gar nicht daran, sich zu entschuldigen ("Heute habe ich manchmal das Gefühl, wir sind das verkrampfteste Volk der Welt") und Nahles hatte sichtlich Spaß bei ihrem Auftritt, wie  Internetvideos zeigen.

Partnerinnen in der Koalition

Ja, beide sind konflikterprobt und in ihren Ansichten höchst unterschiedlich. Wenn es derzeit etwa um das Ja oder Nein zu Rüstungsexporten an Saudi-Arabien geht oder die Grundrente. Manchmal verfolge man dasselbe Ziel, nur der Weg ist ein anderer, sagt AKK. Das heißt aber nicht, dass die Koalition am Zerbrechen ist. Nahles nickt, "da ist halt schlicht ein Kompromiss oder Konsens nötig." Diese werden aber oft schlecht geredet, stellt ihre Kollegin nüchtern fest. Nahles kann ihrem Ärger über das öffentliche Bild der Koalition dann aber nicht verbergen. "Diese apokalyptische Grundmelodie, die uns jetzt ’ne ganze Zeit begleitet, find’ ich echt doof!" AKK sagt nichts, aber ihr Blick deutet Verständnis an. Es wird nicht das erste Mal sein, dass sie sich darüber unterhalten haben. Wenn etwa Wortmeldungen oder Zitate aus den Sitzungen sickern und daraus sofort Koalitionsbruch-Szenarien abgeleitet werden.

Klimatisch dürfte sich im Koalitionsauschuss einiges verändert haben: Die neuen Akteure AKK und Markus Söder (CSU) haben ein unbelasteteres Verhältnis zueinander, als ihre Vorgänger Angela Merkel und Horst Seehofer. Deren zerrüttete Beziehung beinahe die Koalition kippen ließ. Dass Seehofer heute nicht mehr Parteichef ist, hat ebenfalls mit ihrer guten Laune zu tun, lässt Andrea Nahles wissen. Klar, die SPD hatte mit seinen Alleingängen zu kämpfen und verbiss sich in den Streit um den Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen. Formal hat Nahles seine Absetzung durchgeboxt. Dass er aber stattdessen fast einen gut bezahlten Job in Seehofers Ministerium bekommen sollte, fiel ihr auf den Kopf. Sie musste revidieren, was sie fast das Amt kostete. Wenn sie also heute auf der Bühne von einem schwierigen Jahr spricht, lässt sich erahnen, was in ihr vorging.

Leidensgenossinnen unter Jungs

Querschüsse sind auch für die CDU-Chefin nichts neues. Seit sie in Berlin die Polit-Bühne betrat, wurde sie dem Vergleich mit Angela Merkel unterzogen. Später kämpfte sie gegen den Makel und setzte sich im Rennen um den Parteivorsitz knapp gegen Friedrich Merz durch, der als Anti-Merkel galt. Sein Lager zeigte sich nach der Wahl schwer enttäuscht, forderte AKK auf, ihn einzubinden. Dass sich die Stimmung mittlerweile gedreht hat, liegt an seinem Rückzug und ihrem intensiven Werben um Konservative und Wirtschaftsliberale in der CDU. Dennoch will sie auf der Bühne loswerden, dass es sie aggressiv macht, wenn ihr nun jemand eine gute "Lernkurve" bescheinigt. Sie war immerhin Ministerpräsidentin im Saarland, sie hat verschiedene Landesministerien geleitet. Nahles nickt, auch sie wird sauer, wenn es immer wieder heißt: "Kann die das?" Nachsatz: "Die Jungs können das immer alles".

Apropos. Auf die Frage, ob sie in einem Jahr noch im Amt sein werden, weicht AKK aus. Beim Parteitag im November steht keine Wahle an, erklärt sie den Fragestellern. Bei uns schon, kontert Nahles, worauf aber niemand am Podium eingeht. Ob Scherz oder Vorahnung, bleibt also offen. Ob ihre SPD denn Kramp-Karrenbauer zur Kanzlerin mitwählen würde, sollte Angela Merkel vorzeitig übergeben? Darüber wird man im Gremium sprechen müssen, erklärt Nahles, um sofort darauf hinzuweisen, dass sich die Frage vielleicht nicht stellt. Denn "Frau Merkel" wolle ja bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben. Und falls nicht, wird sich wirklich zeigen, ob die beiden nun mehr Partnerinnen oder Gegnerinnen sind.

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