Afrikaner stürmten spanische Exklave Ceuta: Rund 70 Verletzte
Rund 70 afrikanische Migranten sind am Dienstag bei dem Versuch verletzt worden, von Marokko aus den Grenzzaun zur spanischen Exklave Ceuta zu überwinden. Nach Angaben der örtlichen Polizei hatten sich 200 Flüchtlinge an dem Versuch beteiligt. Etwa 60 hätten es geschafft, in die Exklave und damit in die Europäische Union ( EU) zu gelangen.
Nach Angaben des spanischen Innenministeriums gelangten im ersten Halbjahr 3.200 Migranten in die beiden Exklaven, doppelt so viele wie in den ersten sechs Monaten des Vorjahres. Erst im Mai hatten rund 300 Migranten einen Durchbruch versucht, rund 100 von ihnen gelangten auf spanisches Gebiet.
Die Namen Ceuta und Melilla sind für viele afrikanische Migranten eine süße Verlockung - zu verlockend, um ihr zu widerstehen, handelt es sich doch um zwei Fleckchen Europa an der Küste Nordafrikas.
Statt ein seeuntaugliches Boot zu besteigen und im Mittelmeer auf der Überfahrt nach Malta oder Sizilien das Leben zu riskieren, brauchen die Menschen hier nur von der marokkanischen Seite aus einen Zaun zu stürmen oder zu erklimmen.
Mehr trennt sie nicht vom vermeintlich gelobten Land: Spanien. Die Realität, die sie in den Exklaven erwartet, ist aber alles andere als paradiesisch.
Wenn sich - wie jetzt wieder geschehen - genügend Migranten zusammenfinden, um einen Massenansturm zu wagen, gelingt es oft gleich Dutzenden, die EU zu erreichen. Viele verletzen sich, tragen etwa beim Sprung aus der Höhe Knochenbrüche davon. Aber verglichen mit den Strapazen einer Seereise in einem überfüllten Gummiboot scheinen die sechs Meter hohen Grenzzäune trotz Stacheldrahts und Polizei-Bewachung allemal die sicherere Wahl.
Erreichen sie das direkt an der Straße von Gibraltar gelegene Ceuta, trennen die Einwanderer nur noch knapp 30 Kilometer Meer vom spanischen Festland. Von Melilla aus sind es etwa 180 Kilometer. Aber es kann sehr lange dauern, bis sie sich auf den Weg machen dürfen.
Zunächst sitzen sie im CETI fest, dem örtlichen Erstaufnahmezentrum. "Selbst wenn sie Asyl beantragen, müssen sie monatelang warten, manchmal sogar ein Jahr lang, bis sie aufs Festland gebracht werden", sagt Ana Gomez, die Sprecherin von Amnesty International in Spanien.
In der Zwischenzeit harren sie in dem nach jedem neuen Ansturm völlig überfüllten Zentrum aus. "Dort werden sie medizinisch versorgt und bekommen Kleidung, Schuhe und was sie sonst noch so brauchen", erklärt eine Sprecherin des Roten Kreuzes in Ceuta. "Viele der Migranten kommen barfuß hier an und sind erschöpft." Kein Wunder, die meisten haben eine anstrengende und gefährliche Reise quer durch West- und Nordafrika hinter sich und saßen dann lange ohne Versorgung auf der marokkanischen Seite des Zauns fest.
Auch im CETI ist das Wasser kalt, das Essen entspricht oft nicht dem Kulturkreis, aus dem die Migranten stammen, und Menschenrechtler berichten auch von Misshandlungen und Diskriminierung - speziell von Frauen und Homo-, Bi- oder Transsexuellen. Für einen Langzeit-Aufenthalt ist dieser Ort alles andere als geeignet.
Manche hier sind marokkanische Staatsbürger oder kommen aus dem südlich davon gelegenen Mauretanien. "Aber viele stammen auch aus Mali, Guinea und Sierra Leone", erzählt Gomez. "Es handelt sich also nicht nur um sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge, sondern auch um Menschen, die sowohl aus Konfliktgebieten als auch vor verschiedenen Arten von Verfolgung fliehen, wie etwa Zwangsehen, Gewalt oder Diskriminierung wegen ihrer sexuellen Orientierung. Sie haben deshalb ein Recht darauf, dass ihr Asylantrag eingehend geprüft wird."
Asyl wollen die meisten Migranten erst beantragen, wenn sie auf dem europäischen Festland angekommen sind. "Sie haben Angst, schon in Ceuta oder Melilla um Asyl zu bitten, weil sie befürchten, dann noch länger im CETI bleiben zu müssen, um die Antwort abzuwarten", erläutert Gomez. Eine Ausnahme bildeten Syrer: Sie würden als Kriegsflüchtlinge sowieso schon nach kurzer Zeit nach Spanien gebracht und stellten deshalb gleich einen Asylantrag.
Auch Marokkaner und Mauretanier beeilten sich mit ihrer Anfrage - jedoch aus einem anderen Grund: Ihnen drohe andernfalls die sofortige Ausweisung. Denn obwohl dies dem internationalen Recht widerspreche, gebe es weiterhin kollektive Abschiebungen aus Ceuta und Melilla. "Kollektivabschiebungen kommen an der südlichen Grenze nicht nur recht häufig vor, sondern die spanische Regierung hat sogar versucht, sie durch eine Gesetzesänderung zu legalisieren", so Gómez.
Was danach passiere, dürfe Amnesty heute nicht mehr untersuchen. Aber in der Vergangenheit habe es immer wieder Berichte über exzessive Gewalt seitens der marokkanischen Sicherheitskräfte gegeben, auch von Folter und sogar Tötungen war die Rede. Will heißen: Wer die Zäune einmal überwunden hat, der will um keinen Preis zurück.
So hofften alle darauf, einen Platz in einem der Zentren zu finden, die auf dem spanischen Festland von Nichtregierungsorganisationen (NGO) geleitet würden, sagt Jose Palazon, Präsident der Organisation Prodein, die in Melilla arbeitet. Ist dies gelungen, werden die Migranten meist auf die NGO-Zentren verteilt. Die Fahrt bezahlt die spanische Regierung, danach sind die Organisationen zuständig.
Dabei ist Spanien nicht einmal das eigentliche Ziel der Migranten. "Sie wollen fast alle in einem anderen EU-Land Asyl beantragen", sagt Gomez. Der Grund dafür sei vor allem die spanische Migrationspolitik. "Im Jahr 2015 etwa haben nur 1020 Flüchtlinge in Spanien irgendeine Art von Schutz bekommen, 16.400 Asylanträge waren noch gar nicht bearbeitet. Manchmal dauert es Jahre, bis eine Antwort kommt."
Von Carola Frentzen/dpa
Die Zahl der Flüchtlinge ist im ersten Halbjahr 2017 gegenüber dem Vergleichszeitraum 2016 um 68 Prozent gesunken. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex berichtete Mitte Juli gleichzeitig, dass sich die Flüchtlingsströme verlagerten. So wurden drei mal mehr Flüchtlinge in Spanien registriert, in Italien gab es einen Anstieg um 21 Prozent.
Allein im Juni wurden 30.700 illegale Migranten auf den vier Hauptflüchtlingsrouten in der EU aufgegriffen. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge betrug 116.000 in den ersten sechs Monaten. Dabei stach die über die Mittelmeerroute nach Italien kommende Zahl der Migranten mit 85.000 hervor. Das waren um 21 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2016. Dabei bildeten Flüchtlinge aus Nigeria und Guinea den größten Anteil.
Über die östliche Mittelmeerroute kamen im Juni 2.600 Flüchtlinge in Griechenland an, im gesamten ersten Halbjahr waren es 9.000 Migranten. Das sind um 94 Prozent weniger als von Jänner bis Juni 2016. Hier bildeten Syrier, Pakistaner und Iraker die Hauptgruppe, die wiederum vor allem über die Landgrenze zwischen Türkei und Griechenland in die EU kamen.
Zur westlichen Mittelmeerroute berichtete Frontex, dass die 9.000 nach Spanien gelangten Migranten drei Mal mehr waren als in den ersten sechs Monaten 2016. Die Zielpunkte waren dabei die Enklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika sowie auch über das Mittelmeer.
Keine Zahlen wurden von der de facto geschlossenen Westbalkanroute berichtet. Frontex verwies darauf, dass im Juni nur eine "geringe Zahl von Aufgriffen von illegalen Grenzübergängen" registriert wurden, ähnlich wie in den vergangenen Monaten.
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