Dieser Warlord hat nicht geweint

Abdul Rashid Dostum (li.) hat sich in Afghanistan einen Namen gemacht. Doch sein Ansehen scheint zu bröckeln.
Eine Weinattacke des afghanischen Vizepräsidenten sorgt international für Gesprächsstoff. Hat er oder hat er nicht?

Abdul Rashid Dostum ist ein berühmt-berüchtigter afghanischer Warlord, der für unzählige Kriegsverbrechen verantwortlich sein soll. Darunter auch die gezielte Tötung hunderter Gefängnisinsassen. Er unterstützte den US-amerikanischen Geheimdienst im Kampf gegen die Taliban und wurde 2014 zum Vizepräsident Afghanistans ernannt.

Doch nun scheint das Bild des bis dahin unerschrockenen Mannes zu bröckeln. Denn nach Informationen der New York Times hat der zweitmächtigste Politiker des Landes während eines Treffens des afghanischen Sicherheitsrates geweint. Warum? Er hadert mit seiner Position in der Regierung. „Niemand ruft mich an“, beklagt sich der Vizepräsident. „Ihr habt mich zum General gemacht, aber niemand fragt mich nach meiner Meinung. Ich will diesem Land doch helfen.“.

Diese Behauptung fand der 60-Jährige überhaupt nicht lustig. Und weil Warlords es gar nicht gerne sehen, dass über ihre Schwächen berichtet wird, verfasste der ehemalige Milizenführer einen offenen Brief an die New York Times: „Eine solche Berichterstattung wird den Charakter des Generals nicht schädigen, aber es könnte ein schlechtes Licht auf General Dostum werfen.". Der Artikel sei ein Attentat auf seine Persönlichkeit und der Reporter müsse sich bei Dostum entschuldigen. Denn, so die Meinung des Vizepräsidenten, ein Warlord weint nicht.

Vom Warlord zum Vizepräsidenten

Wer ist Abdul Rashid Dostum überhaupt? Für viele Warlords ist der 60-Jährige ein Vorbild. Sein politischer Aufstieg gleicht einer Bilderbuchkarriere, wenn auch einer brutalen. Bekannt geworden ist Dostum bereits in den 80iger Jahren. Als prosowjetischer Anführer einer 20.000 Mann starken Miliz kämpfte er gegen afghanische Mudschaheddin-Gruppierungen. Weil die Miliz aber formell nicht zum afghanischen Militär gehörte, galt sie praktisch als seine eigene Privatarmee, die vor allem für Plündereien berüchtigt war. Die Ermordung, Vertreibung und Misshandlung tausender ethnischer Paschtunen soll auf die Kappe seiner ihm loyal gesinnten Truppe gehen.

Dostum wechselte auch öfters seine Verbündeten. Während er in den 90iger Jahren die radikal-islamischen Taliban unterstützte, pflegte er 2001 gute Kontakte mit dem US-amerikanischen Geheimdienst CIA. Diesmal stand der gemeinsame Kampf gegen die Taliban an oberster Stelle. Zu dieser Zeit soll der 60-Jährige zahlreiche Kriegsverbrechen verübt haben, darunter auch die gezielte Tötung hunderter Gefängnisinsassen. Das störte aber weder den USA noch dem damaligen Präsidenten Hamid Karzai. Er ernannte Dostum wegen seiner Verdienste zum stellvertretenden Verteidigungsminister.

Dieser Warlord hat nicht geweint

FILE PHOTO OF AFGHAN WARLORD GENERAL RASHID DOSTUM
Dieser Warlord hat nicht geweint

To match Reuters Interview AFGHANISTAN-ELECTION/DO
Dieser Warlord hat nicht geweint

Afghanistan's new President Ashraf Ghani Ahmadzai
Dieser Warlord hat nicht geweint

Afghan President Ashraf Ghani stands with Vice Pre

Theoretisch mächtig

Dann, im Frühsommer 2014, stieg Dostum zu einem der mächtigsten Männer in Afghanistan auf - zumindest auf dem Papier. Denn tatsächlich steht der ehemalige Warlord seit seiner Angelobung auf dem politischen Abstellgleis. Aus dem engen Kreis von Präsident Ashraf Ghani wurde er längst verbannt. Dieser hatte ihn wegen seinen engen Kontakten zur usbekischen Minderheit, die immerhin zehn Prozent der afghanischen Bevölkerung ausmachen, zum ersten Vizepräsidenten ernannt. Doch heute beschäftigt sich Dostum mit Themen, die gar nicht zu einem Warlord passen, wie das Organisieren einer Sportkampagne.

In jüngster Zeit fiel er zudem immer wieder mit bizarren Vorfällen auf. Nach einem Selbstmordattentat in der afghanischen Hauptstadt Kabul im Oktober 2014 erschien der zweitmächtigste Mann im Land in seinem Trainingsgewand am Unglücksort und sorgte wegen seinen wirren Aussagen für großes Gelächter. Einen Monat später verkündete er den Einsatz einer 20.000 Mann starken Elitearmee. Alle Regierungsmitglieder waren aber dagegegen. Die Chance, der Ex-Warlord könnte wieder eine eigene Privatarmee installieren, wäre zu groß gewesen.

Ein Warlord weint nicht

Rückblickend ist und war Dostum einer der gefährlichsten Warlords weltweit. Beschuldigungen, er habe tausende Menschen töten lassen, interessieren ihn nicht. Damit identifiziert sich Dostum. Aber weinen? Nein, ein Warlord weint nicht.

Auch wenn er keine Träne vergossen hat, einige Mitglieder des Sicherheitsrates würden nur noch Treffen bevorzugen, bei denen auch der Vizepräsident zugegen ist: „Wir haben dann alle mehr Spaß“, so ein Insider gegenüber der New York Times. Doch was ist spaßig daran, wenn ein Mann, dem unzählige Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, depressiv wird?

Vergessen darf man nicht, Dostum ist erster Vizepräsident und laut afghanischer Verfassung übernimmt dieser in Abwesenheit, beim Rücktritt oder im Todesfall des Staatspräsidenten die Regierungsagenden. Das bedeutet, wenn Ghani etwas zustößt, regiert Dostum das Land. Und auch ein weinender Warlord ist ein gefährlicher Warlord.

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