AfD-Aussteigerin: "Gemäßigte kriegen keinen Fuß auf den Boden"
Wer aussteigt, verliert etwas. Franziska Schreiber ist über diesen Verlust ganz froh: Die 1000 AfD-Facebook-Freunde braucht sie nicht mehr. Die heute 28-Jährige trat vor knapp fünf Jahren der Partei bei, als diese noch das Etikett „eurokritisch“ trug. Sie gehörte schnell zum innersten Zirkel von Parteimitgründerin Frauke Petry, wurde Sprecherin der AfD-Jugendorganisation in Sachsen und erlebte mit, wie sich die Partei radikalisiert hat. Heute wird die AfD von völkischen Kräften dominiert, erzählt die Dresdnerin. Politik will sie künftig nicht mehr machen, ihre Mission ist eine andere: aufzeigen, wie eine Partei Menschen fängt und enttäuscht.
KURIER: Sie haben der AfD den Rücken gekehrt. Wacht man eines Morgens auf und weiß: Ich muss da weg?
Franziska Schreiber: Es war ein langer Prozess. Ich habe immer wieder gemerkt, dass den radikalen Mitgliedern nichts entgegengesetzt werden kann: Jemand übertritt eine Grenze, und es passiert nichts. Am Anfang hatte ich Hoffnung, dass es Einzelfälle sind, aber der radikale Flügel wollte immer den nächstradikaleren Kandidaten auf dem Thron sehen.
Die AfD vermittelt ja auch Ideologie, die kann man nicht so einfach abstreifen.
Mit der jetzigen AfD verbindet mich nur die Vergangenheit. Ich fühle mich mit der Einstellung der Menschen nicht mehr verbunden. Ich bin klassisch liberal, habe nichts mit Extremismen am Hut. Wenn man ausgetreten ist, fragt man sich schon, warum man das die ganze Zeit mitgemacht hat.
Sie waren immerhin vier Jahre dabei.
Am Anfang war es euphorisierend. Die AfD vermittelte Aufbruchsstimmung, propagierte Zusammenhalt. Es hat sich gut angefühlt, wie in einer Familie. Problematisch wurde es erst, als ich angefangen habe, Björn Höcke zu kritisieren. Dann war es mit dem Zusammenhalt schnell vorbei. Man wird ausgegrenzt und beleidigt. Ich wollte das nicht hinnehmen, habe zwei Jahre versucht, dagegen anzukommen, musste aber feststellen, dass es aussichtslos ist.
Als Jugendliche waren Sie für Klimaschutz, sozialen Ausgleich. In Ihrer linksliberalen Familie war Gregor Gysi der Held. Wie kommt man da zur AfD?
Mit 18 bin ich von dieser linken Haltung ein Stück weggekommen, das war nicht mehr meines. Ich bin eher liberal, für mich waren FDP und CDU interessant. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht und den Eurobonds haben sie mich 2009 aber enttäuscht. Ich habe dann Bernd Lucke (AfD-Mitgründer, Anm.) in einer Talkshow gesehen, wo er ruhig gesprochen hat, mit vielen Fakten. Alle anderen wirkten neben ihm hilflos. Ich habe mich im Netz mit der AfD beschäftigt, bin beigetreten.
Und haben in der Jungen AfD Karriere gemacht. Wie rekrutiert man da die Menschen?
Das passiert bei Veranstaltungen, teils hat man sie bei Pegida angesprochen. Auch Freunde und Bekannte sowie Geschwister wurden zu den Treffen mitgenommen. Wir haben gesagt, wenn die Leute mal da sind, ist es die halbe Miete. Wir haben viele überzeugt, die mit Politik bis dahin wenig zu tun hatten.
Das klingt nach Sekte.
Es hatte etwas sektenartiges. Man hat darauf geachtet, wie man mit Leuten spricht. In der Gruppe hat z.B. einer dem Angesprochenen mit Absicht gegengeredet, so dass er von den anderen Beistand bekommt. Damit bekam er das Gefühl, als wäre er bei uns total angekommen. Man vermittelte ihm, dass er stolz sein kann, weil er sich Gedanken übers Land macht und die anderen nicht. Er sollte glauben, Teil eines elitären Kreises zu sein.
Mit dem Gefühl dazuzugehören bedient die AfD ja auch die Sehnsüchte vieler Menschen in der ehemaligen DDR, die sich vergessen fühlen.
Das Bashing gegen Ostdeutsche, was relativ verbreitet ist, ist Wasser auf ihre Mühlen. Entstanden sind die hohen Prozente aber, weil das Vertrauen in die Demokratie nicht so ausgeprägt ist, wie in der BRD. Ein großer Teil der Wahlberechtigten im Osten hat ihren Politikunterricht unter DDR-Regeln bekommen. Sie haben keine Erfahrung damit, frei wählen zu können, und sind deswegen häufig Wechselwähler und unzufrieden. Sie fühlen sich hintergangen, weil sie schon einmal erlebt haben, dass ein System scheiterte.
Wie eng sind die Verbindungen zwischen AfD und Neonazi-Szene?
Es gibt Bekanntschaften, auch Verknüpfungspunkte. Höcke hat definitiv Kontakte ins Neonazimilieu, er hat auch Götz Kubitscheks Aufnahme in die AfD beantragt. Dessen Institut für Staatswissenschaften ist das Biotop, indem sich AfDler, Identitäre und HoGeSa (Hooligans gegen Salafisten) treffen. Sie sind besser angezogen, aber im Wesentlichen unterscheidet sich die Ideologie der Identitären nicht von den Neonazis.
In welche Richtung geht die AfD gerade?
Sie wird von fremdenfeindlichen und völkischen Kräften dominiert: Die AfD wird sich weiter radikalisieren, die Dichte der Skandale wird sich erhöhen. Das Schlimme ist: Viele Wähler sind immun dagegen oder wollen es nicht glauben, weil sie die AfD am Anfang anders wahrgenommen haben.
Dabei liefert die AfD eine verbale Entgleisung nach der anderen, sorgt das intern nicht für Kontroversen?
Bei jedem Skandal, den die Radikalen auslösen, gibt es ein paar, die nicht mehr mitkönnen und gehen. Die Gemäßigten kriegen keinen Fuß mehr auf den Boden. Es brechen langsam alle Dämme. Und natürlich zieht das keine neuen Mitglieder mit einem liberalen Weltbild an. So verschiebt sich die Mehrheit innerhalb der AfD zugunsten der Radikalen. Das ist der Zweck der Skandale.
Parteien wie die CSU versuchen, zur AfD übergelaufene Wähler zurückzuholen, rücken dabei selber nach rechts. Wie kommt das an?
Menschen, die diesen Kurs bevorzugen, werden es immer als Erfolg der AfD werten. Was die CSU sagt, ist von der AfD sozusagen angeschoben worden, also kann man auch die AfD dafür wählen. Daher würde ich allen Unionskräften dringend empfehlen, der Versuchung zu widerstehen. Sie müssten viel mehr über Erfolge sprechen, etwa wie sie die Flüchtlingskrise bewältigt haben. Alles in allem läuft das allgemeine Zusammenleben gut.
Was ich immer noch nicht ganz verstehe: Sie haben das einmal anders gesehen.
Ich habe in meiner Filterblase nur mehr einseitige Meldungen bekommen, habe das in den Medien unterrepräsentiert gefunden. Nachdem ich ausgetreten bin, habe ich mir ein neues Facebook-Profil zugelegt. Es macht viel aus, wenn man neutral alle Nachrichten bekommt. Ich habe gemerkt: Okay, es gibt Probleme, aber das ist alles machbar. Die AfD will einem diese Räuberpistole verkaufen: Es ist fünf vor zwölf, und das Land steht vor dem Kollaps – davon sind wir weit entfernt. Aber wenn man innerhalb der AfD ist, glaubt man das.
Ihr soziales Umfeld hat sich also geändert.
Ich habe wieder mehr unpolitische Freunde, auch linke oder eher liberale. Da kriegt man ein anderes Bild auf die Realität. Dass man mit alten Freundschaften bricht, ist ein weit verbreitetes Phänomen in der AfD. Man zwingt die Leute nicht, aber es wird einem vermittelt, wer deine Freunde sind. Das führt zu Isolierung und ist gefährlich, weil eine Gegenmeinung fehlt.
Wie wurde Ihr Ausstieg denn von der AfD aufgenommen?
Ich bekomme Screenshots von internen Gruppen im Netz, da geht es hoch her. Ich wurde als Nestbeschmutzerin, Verräterin bezeichnet. Ich habe auch Drohungen bekommen, meist Beleidigungen oder man wünscht mir, dass mich Flüchtlinge vergewaltigen sollen.
Und das können Sie alles ausblenden?
Es gelingt mir ganz gut. Ich war darauf vorbereitet und wusste, dass es passiert. Wenn ich aus einer anderen Partei austrete, würde mein Kreisverband nie auf die Idee kommen, mich so zu beleidigen. Allein das bestätigt ja, was ich sage.
„Mein Gesicht ist für alles andere verbrannt“, haben Sie in einem Interview gesagt. Ist Ihre politische Zukunft beendet?
Ich meinte damit ein Gefühl, das die AfD vermittelt: mitgefangen, mitgehangen. Leute, die kritisch sind, versucht man ruhig zu stellen, redet ihnen ein, dass sie in der Zivilgesellschaft sowieso keinen Boden mehr unter den Füßen haben. Das ist Unsinn, man kann immer, egal wo man ist, aussteigen und sich distanzieren.
Sind Sie derzeit noch parteipolitisch engagiert?
Nein. Ich habe nach meinem Austritt für die FDP geworben, habe aber nicht vor, Mitglied zu werden. Ich bin mit der Parteipolitik durch und genieße es, meine Meinung frei zu äußern. Ich muss mich mit niemandem abstimmen, nicht Rücksicht nehmen auf eine Basis oder Gremien. Das ist ein sehr schönes Gefühl, das ich nur ungern wieder hergeben möchte.
F. Schreiber: In „Inside AfD“ erzählt die Aussteigerin, wie sie den radikalen Wandel der einst eurokritischen Partei 2013 bis 2017 miterlebte. Europaverlag. 224 Seiten. 18,50 €
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