Ägypten: Ohne Anklage im Geheimgefängnis

Hunderte Todesurteile stellen die regierungsfreundliche Justiz infrage. Auch ein Netzwerk geheimer Gefängnisse beunruhigt die Menschenrechtler.

Wir wissen nicht, wo er ist. Geschweige denn, warum er festgehalten wird." Monas 33-jähriger Bruder war am 3. Juli vergangenen Jahres mit Mohammed Mursi festgenommen worden. Er war ein Berater des Präsidenten. "Seitdem haben wir ihn nicht mehr gesehen", sagt Mona. "Er wurde verhaftet, niemand wurde informiert. Er hat keinen Kontakt zu Familie, Ärzten, Anwälten. Wir wissen nicht, in welchem Zustand er ist und wie lange er inhaftiert bleibt", sagt die junge Frau dem KURIER.

Laut Strafgesetzbuch muss die Polizei dem Inhaftierten unmittelbar den Grund für dessen Festnahme nennen. Doch das passiert in Ägypten häufig nicht. Beobachter notieren beinahe täglich Verhaftungen im ganzen Land, die ohne Begründung und ohne Information an die Angehörigen vonstatten gehen.

"Tausende" politische Aktivisten seien derzeit in Haft, bestätigt der ägyptische Vertreter von Human Rights Watch (HRW) in Kairo dem KURIER. Zahlen gebe es keine. Auch Schätzungen seien sehr schwer zu machen. Fakt sei, dass die 42 offiziellen Gefängnisse Ägyptens aus allen Nähten platzen, so der Menschenrechtsaktivist. "Aus Berichten von freigelassenen Ex-Häftlingen wissen wir, dass es viele Geheimgefängnisse geben muss", so der HRW-Mann. "Täglich werden dort Personen hingebracht." Doch wie viele dieser Gefängnisse es in Ägypten gibt und wie viele Häftlinge dort festgehalten und zum Teil gefoltert werden, könne man nicht sagen. Doch auch in regulären Polizeistationen werden Regierungsgegner irregulär festgehalten.

"In eine Falle gelockt"

Auch Ahmed hat Angst, verhaftet zu werden. "Am Dienstag sind vier meiner Freunde verschwunden. Bis heute wissen wir nicht, wo sie sind", erzählt der Mittzwanziger, der Mitglied der mittlerweile verbotenen Muslimbruderschaft ist, dem KURIER. Die vier jungen Männer wurden um 23 Uhr zu Hause erwartet – kamen aber nicht. "Als wir endlich jemanden bei der Polizei erreichten, sagten die nur, sie seien verhaftet worden", so Ahmed. Ihre Freunde haben in Erfahrung gebracht, dass sie nach Protesten an der Al-Azhar-Universität von der Polizei in eine Falle gelockt wurden. Seitdem haben sie nichts mehr von ihnen gehört.

"Wir sind sehr besorgt über die Haftbedingungen in Ägypten – in regulären und in irregulären Gefängnissen", sagt der HRW-Vertreter. Seit dem Sturz Mohammed Mursis am 3. Juli kam es zu einem massiven Ansteigen der Festnahmen, bestätigt er. "Die gefährdetste Gruppe sind derzeit die Muslimbrüder. Aber auch andere Kritiker der Übergangsregierung sind im Visier." Etwa Arbeitsrechtsgruppen oder linke Aktivisten, Journalisten. "Wir sehen hier vor allem einen Angriff auf die Meinungsfreiheit."

Meinungsfreiheit

Auch Mona kritisiert die Schließung von TV-Sendern und Zeitungen und politische Festnahmen. "Das sind alles Verletzungen der Menschenrechte durch das Militärregime", so die junge Frau zum KURIER. Seit der Machtübernahme der militärnahen Regierung sind auch viele Mitglieder der 6.-April-Bewegung festgenommen worden, darunter deren Mitbegründer, die mittlerweile zu drei Jahren Haft verurteilt wurden. Journalisten, Blogger und Fotografen wurden verhaftet, TV-Sender und Zeitungen geschlossen, die sich gegen die Regierung ausgesprochen hatten.

Eigenmächtige Festnahmen stehen an der Tagesordnung – aber nicht erst seit der Machtübernahme durch das Militär. Das war unter Mubarak nichts Neues, denn das gab es schon bei Nasser. Ebenso in der Zeit nach der Revolution, in Mursis Amtszeit wie in der Zeit nach dem Sturz des Islamisten. Nur die Hintergründe der Verhafteten wechselten.

Ahmed klagt: "Wenn wenigstens irgendein Gesetz – zumindest das Notfallgesetz – gelten würde! Aber hier gibt es gar keine Gesetze mehr."

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