Ägypten: Demos gegen "gestohlene" Revolution

Ägypten: Demos gegen "gestohlene" Revolution
Zehntausende demonstrieren wieder auf dem Tahrir-Platz gegen die unzureichende Abrechnung mit der Ära Mubarak.

Ich befürchte, dass wir wieder angegriffen werden", sagt ein junger Demonstrant. Er sitzt auf der Verkehrsinsel auf dem weltberühmt gewordenen Tahrir-Platz in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Er lächelt, greift in seinen Rucksack und holt Atemschutzmasken hervor.

Es ist ein bunter Protest an diesem heißen Freitag. Zehntausende von Menschen haben sich am zentralen Schauplatz der erfolgreichen Februar-Revolution versammelt, um gegen die Militärregierung und gegen die abgesetzten Politiker der Ära Mubarak zu demonstrieren. Nach Ansicht der Jugendbewegung und der Muslimbrüder werden diese korrupten Apparatschiks und auch die brutalen Polizisten unzureichend verfolgt und bestraft.

Der Tahrir-Platz ist wieder besetzt. Auf der Verkehrsinsel sind zahlreiche Zelte aufgebaut. Eine große, weiße Plane hängt über den meisten Zelten. Menschen suchen Platz im Schatten. Es wird gesungen, getanzt und wild diskutiert.

Gestohlene Revolution

"Es hat keine Revolution stattgefunden", sagt Hend Khappeb, eine junge Ärztin. "Die Armee hat uns betrogen, sie hat uns die Revolution gestohlen." Die Frau sieht sehr nachdenklich aus: "Ich hoffe, dass es heute nicht blutig wird", sagt sie und schaut sich um. Flugblätter werden verteilt, Kinder schwingen die ägyptische Fahne. "Der Protest auf dem Tahrir ist wichtig", sagt die 26-Jährige zum KURIER. "Aber viel wichtiger ist es, dass wir politische Schritte gehen. Wir müssen die Armee loswerden und wir benötigen eine konsequente Übergangsregierung."

Bunte Banner hängen an den Wänden der Häuser rund um den Platz und an den Ampeln. Der Tahrir ist abgeriegelt. Wer ihn betreten will, muss seinen Ausweis vorzeigen und sich durchsuchen lassen. An einem der Checkpoints steht Jenny, eine junge Bloggerin. Sie trägt ein blaues Kopftuch und schwitzt. "Es geht mir gut, alles ist friedlich", sagt sie lächelnd. Sie bewegt sich zu den Massen auf dem Platz. Von allen Seiten scheinen Menschen zu den Protesten zu strömen.

"Fühle mich hilflos"

"Ich hoffe, es kommen noch mehr Leute", sagt die Ärztin Hend Khappeb, "und ich hoffe, dass sie bleiben werden - wenigstens für ein paar Tage." Sie erinnert sich an die Demonstranten, die während der Proteste gestorben sind. "Jedes Mal, wenn ich ihre Bilder sehe, fühle ich mich sehr hilflos. Es macht mich traurig und wütend, dass ihre Mörder nicht verurteilt sind. Wofür sind sie denn gestorben?"

Dann wird es ruhig auf dem großen Platz: Gebetszeit. Männer und Frauen legen Teppiche oder Zeitungen vor ihre Füße. Ein kleiner Junge springt über das Geländer am Gehweg. Seine Schuhe sind zu groß, seine Finger dreckig. "Wer will eine ägyptische Fahne kaufen", fragt er verschwitzt und verschmitzt. Er ist sicherlich nicht älter als acht Jahre.

Ruf nach Rücktritt

Nach dem Gebet treten Redner auf die Bühnen. Es wird heißer. "Hosni Mubarak arbeitet in der neuen Regierung", schreit ein Mann in ein Megafon. Die alten Kräfte müssten endgültig weg. Lautes Klatschen ist zu hören. Was die Menge will, ist klar: Die Prozesse gegen den gestürzten Staatschef Mubarak, gegen seine Helfershelfer und die gewalttätigen Sicherheitskräfte müssten beschleunigt werden. Vereinzelt werden Rufe nach dem Rücktritt von Innenminister Mansur al-Essawi laut.Das Gedränge auf dem Platz ist fast unerträglich. Aber es scheint niemanden zu stören. Erneut ist der Protest friedlich und kraftvoll. "Es lebe Ägypten", ruft eine junge Frau. "Es lebe Ägypten", wiederholt sie.

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