Atomdeal steht, aber es gibt noch Fallen
Die Jubelbekundungen auf Teherans Straßen stellten die sonst so strengen Sittenwächter Freitag Nacht auf eine harte Belastungsprobe: Da hupten Autokolonnen im Stakkato, wurden Fahnen geschwungen und begeistert gesungen. Da tanzten junge Frauen – und das ausgerechnet zum Popsong "Happy".
Anlass der spontanen Freudenfeiern war die am Donnerstagabend erzielte Grundsatzeinigung mit dem Iran. Wird das Abkommen zwischen Teheran und den fünf UN-Vetomächten (USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich) und Deutschland bis Ende Juni in einen endgültigen Vertrag gegossen, steht dem Iran ein gewaltiger Impuls bevor: Die internationalen Wirtschaftssanktionen werden fallen, jährliche Auslandsinvestitionen von mindestens 110 Milliarden Dollar stehen ins Haus. "Der Iran könnte einen unglaublichen Aufschwung nehmen", ist sich der ehemalige Topdiplomat und ausgewiesene Iran-Kenner Albert Rohan sicher.
Nach den extrem zähen Verhandlungen und der grundsätzlichen Einigung über die Eckdaten des Atomabkommens muss nun in den kommenden zwölf Wochen das "Kleingedruckte" ausverhandelt werden. Und dabei, so Rohan zum KURIER, stecke der "Teufel noch im Detail". Die Gefahr eines grundsätzlichen Scheiterns sei noch immer nicht vollkommen ausgeschlossen. Generell aber gibt der Ex-Generalsekretär des österreichischen Außenministeriums dem historischen Atom-Deal mit dem Iran gute Chancen: "Beide Seiten wollen wirklich ein Abkommen." Ziel des Westens dabei: Der Iran soll dauerhaft an der Entwicklung einer Atombombe gehindert werden, darf aber ein – streng kontrolliertes – ziviles Atomprogramm nutzen. Ziel des Iran: Die Wirtschaftssanktionen, die dem Land extrem geschadet haben, sollen endlich fallen.
Die Hardliner
Bei der Umsetzung des Deals lauern allerdings sowohl im Iran als auch in den USA noch einige Fallen: In Teheran muss Revolutionsführer und Staatschef Ali Khamenei das Abkommen absegnen. Dabei wird er die mächtigen Hardliner in der politischen Führung des Landes brüskieren müssen, die strikt auf die Entwicklung einer eigenen iranischen Atombombe beharren. Albert Rohan sieht jedoch das Pendel im Iran in Richtung moderater Kräfte – allen voran Außenminister Zharif – ausschlagen. Er kennt Zharif persönlich gut und weiß, dass der Minister über "gute direkte Verbindungen zu Khamenei verfügt. Wenn Zharif unterzeichnet, wird das Abkommen Bestand haben", sagt Rohan.
Auch vonseiten des republikanisch dominierten US-Kongresses bläst dem Abkommen noch eisiger Wind entgegen. Definitiv verhindern wird das Parlament die historische Einigung aber nicht können – auch wenn Senat und Repräsentantenhaus darauf pochen, mitzuentscheiden. Theoretisch könnte US-Präsident Barack Obama den Deal, der sich als einer der größten Erfolge seiner Amtszeit erweisen dürfte, in Form eines Regierungsabkommens auch ohne Bewilligung des Kongresses durchziehen. Die amerikanischen Sanktionen gegenüber dem Iran kann das Weiße Haus allerdings nur gemeinsam mit dem Parlament aufheben.
Die Eckpunkte der Atom-Vereinbarung
Urananreicherung Der Iran will für mindestens 15 Jahre Uran nicht über 3,67 Prozent anreichern (bisher bis zu 20 %). So soll verhindert werden, dass atombombentaugliches Uran produziert wird. 95 Prozent der heutigen Bestände angereicherten Urans werden abgebaut.
Atomanlagen Die 19.000 Zentrifugen zur Urananreicherung werden auf 6100 reduziert, nur 5000 sollen in den nächsten zehn Jahren tatsächlich Uran anreichern. Zudem will der Iran 15 Jahre lang keine Anreicherungsanlagen bauen, zwei kritische Atomanlagen sollen so umgebaut werden, dass sie nicht länger zur Urananreicherung bzw. Herstellung von waffenfähigem Plutonium verwendet werden können. Gebrauchte Brennstäbe werden ins Ausland gebracht.
Kontrolle durch IAEO Die UN-Atombehörde erhält 25 Jahre lang uneingeschränkten Zugang zu allen Nuklearanlagen, auch zu solchen, zu denen ihr der Zutritt bisher verwehrt wurde. Hält sich der Iran an die Abmachungen, werden die Sanktionen aufgehoben. Verstößt er gegen die Vereinbarungen, treten sie sofort wieder in Kraft.
Der heimischen Wirtschaft winken nach dem Ende der Sanktionen boomende Geschäfte mit dem Iran. Hans-Jörg Hörtnagl von der Außenhandelsorganisation der Wirtschaftskammer sieht in den kommenden Jahren deutliche Zuwächse. Hörtnagl im KURIER-Gespräch: „Es hängt natürlich davon ab, wie das Abkommen im Detail aussieht, aber man kann davon ausgehen, dass sich der Handel mit dem Iran deutlich belebt.“ In Zahlen: In drei bis vier Jahren könnte der bisherige Exportrekord von 500 Millionen Euro aus dem Jahr 2005 „weit überholt“ werden. Zum Vergleich: 2014 exportierte Österreich Waren im Wert von 214 Millionen Euro, die Importe machten nur 19 Millionen aus.
Der Hauptgrund für das erhoffte große Geschäft ist der gewaltige Nachholbedarf im Iran. Vor allem in den Bereichen Infrastruktur, im Maschinen- und Anlagenbau, aber auch bei Technologien für den Öl- und Gasbereich sieht Hörtnagl daher gute Chancen für Österreich. Zum einen wegen der hohen Qualität der heimischen Produkte und Dienstleistungen, aber auch wegen des guten Images: „Österreich hat während der Sanktionen weder die Botschaft noch das Kulturinstitut in Teheran geschlossen.“ Das dürfte sich jetzt, glaubt Hörtnagl, bezahlt machen.
Auch wenn während der Sanktionen der USA und der EU vor allem das nicht von den Maßnahmen betroffene China einen großen Schritt auf dem iranischen Markt gemacht hatte. Hörtnagl: „Die Iraner fühlen sich mehr zum Westen hingezogen als zum Osten.“
OMV wartet noch ab
Ob die OMV, die vor den Sanktionen große Gasförder-Pläne im Iran hatte, auch bald wieder ins Iran-Geschäft zurückkehrt, ist noch offen. OMV-Sprecher Robert Lechner: „Wenn ein so großer Player im Energiebereich zurück auf die internationale Bühne kommt, muss man das zunächst neu bewerten. Derzeit ist es aber noch zu früh, konkrete Schlüsse zu ziehen.“ Die OMV unterhält noch immer ein Büro in Teheran.
Die OMV muss allerdings gegen riesige Konkurrenz antreten. Denn trotz des niedrigen Ölpreises dürften sich die Branchen-Riesen um Investitionen in neue Öl- und Gasfelder anstellen. Alexander Pögl von der Ölmarkt-Beratungsfirma JBC: „Grundsätzlich werden internationale Investoren vor der Tür stehen, so viele Möglichkeiten für einen Explorationszugang gibt es nicht.“ Der Iran verfüge zwar wegen der Sanktionen derzeit über große Lagerbestände, müsse aber nach deren Verkauf rasch in neue Fördertechnologien und -gebiete investieren.
In der österreichischen Wirtschaft und Politik findet derzeit geradezu ein Wettlauf statt, wer zuerst nach Teheran fliegt. Offiziell will man darüber nicht viel sagen. „Die Einladung des Iran an Bundespräsident Heinz Fischer ist aufrecht“, heißt es aus der Hofburg zum KURIER. Gut informierte Diplomaten erwarten, dass die Reise noch heuer stattfindet.
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