Gretchen Dutschke: „Der Kampf geht weiter“
Die Aufmerksamkeit und das Interesse der Medien hat sie so noch nicht erlebt, erklärt Gretchen Dutschke, die ihren berühmten Nachnamen schon lange nicht mehr trägt. Kürzlich hat sich jemand vom Polizeimuseum bei ihr gemeldet, erzählt sie. Man wolle die drei Kugeln ausstellen, die ihren Mann am 11. April 1968, also vor knapp 50 Jahren, getroffen und schwerst verletzt haben. Das finde sie etwas merkwürdig, sagt die zierliche Frau mit dem Pagenkopf und amerikanisch-gefärbtem Deutsch. Die 76-Jährige, die es einst aus dem Mittleren Westen der USA nach Berlin zog, lebte 15 Jahre an der Seite des Studentenführers Rudi Dutschke. Und so bekannt das Paar damals war, so zurückgezogen lebt sie heute: In in einem modernen Wohnprojekt im linken Szenebezirk Friedrichshain, wo man sich Garten und Gemeinschaftsräume teilt. An der Haustür klebt der Sticker „Ein Bett für Snowden“, dem US-Whistleblower würde sie sofort Asyl gewähren. Weniger Sympathien hat sie für Kanzlerin Merkel, die als Marionette am Bücherregal hängt. Gretchen Dutschke hat Humor und kommt in Plauderlaune, wenn sie über „Rudi“ spricht, den sie einst in einem West-Berliner Café kennenlernte oder wenn sie von den Erfolgen der 68er spricht, die sie auch in ihrem neuen Buch beschreibt.
KURIER: Meine Generation kennt Ihren Mann nur aus Geschichtsbüchern. Auf YouTube kann man sich seine Reden ansehen, sie klingen sehr abstrakt. Was wollte er eigentlich?
Er hat gesehen, dass die Menschen durchs Wirtschaftssystem unterdrückt und von den Oberen beleidigt werden, das wollte er ändern. Aber wie? Diese Frage hat ihn beschäftig. Er benutzte diese schwierige Sprache, weil er meinte, er könnte es nicht klar genug erklären. Später ist es besser geworden (lacht ).
Sie haben für eine bessere Welt gekämpft. Schaut man sich heute um, wirkt sie bedrohlich: Trump in den USA; der Krieg in Syrien; in Europa breiten sich Rechtspopulisten aus.
Die Geschichte steht niemals still. Die Bewegung hat einiges erreicht, manche versuchen, das zu zerstören oder wollen zum Faschismus zurückgehen. Dass bei der AfD wieder Nazigedanken hochkommen und öffentlich gesagt werden, ist schlimm. Ich glaube aber, dass es in Deutschland, im Gegensatz zu den Ländern rundherum, noch immer Widerstand gibt. Man kann nur hoffen, dass die antiautoritäre Bewegung der 68er so weit nachwirkt, dass die Rückkehr zu einer autoritären Gesellschaft nicht mehr gelingt.
Dennoch sagen heute einige, die 68er sind gescheitert, oder rufen zu einer konservativen Revolution auf, wie etwa CSU-Mann Alexander Dobrindt.
Ich halte das für völlig falsch, wohin will er zurück? Was mich immer beeindruckte, war die Umfrage von 1951, wo nur zwei Prozent der Bevölkerung für die Demokratie gestimmt haben. Heute würde eine große Mehrheit die Demokratie bejahen. Die Diskussionen und Kämpfe waren wichtig für die Demokratisierung Deutschlands. Sie haben viel verändert, in einer Zeit, in der das totalitäre Denken noch in vielen Köpfen war. Wenn manche sagen, es ist gescheitert, dann weil der Kapitalismus noch existiert: Es ist schlimmer geworden. Der Kampf ist nicht fertig, er geht weiter.
Protest findet heute vor allem im Netz statt und ist bequem geworden. Man unterschreibt schnell eine Online-Petition, teilt Postings. Machen es sich die Menschen zu einfach?
Es reicht nicht, im Netz aktiv zu sein. Abgesehen davon haben bestimmte Typen Millionen von Euros oder Dollars dazu benutzt, Fake-Identitäten zu schaffen, um das Netz mit Lügen zu fluten. Das ist sehr problematisch.
Als Studentenführer hatte Ihr Mann vor allem die Boulevard-Medien als mächtige Gegner.
Am Anfang ging es darum, die Universität zu demokratisieren. Das hat der Springer-Presse nicht gefallen. Sie hat die Studenten verteufelt, auch mit Cartoons, wo Rudi wie der Teufel aussah, oder mit Sprüchen wie, die sollen alle in den Osten gehen.
Wann kippte die Stimmung?
Nach dem Tod von Benno Ohnesorg (Polizisten haben den Studenten bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien erschossen, Anm.) haben wir schwarze Fahnen in die Fenster gehängt. Dann fingen die Nachbarn an, gegen unsere Tür zu hauen. Sie haben Rudi aus der Zeitung erkannt. Es wurde allmählich beängstigend. Die Medien haben später gefordert: „Nehmt es in eure Hände.“
Der rechtsgesinnte Hilfsarbeiter Josef Bachmann hat es getan, Ihren Mann auf offener Straße niedergeschossen und ihn schwer verletzt. Jahre später starb er an den Folgen. Sie werden jährlich daran erinnert. Wie geht es Ihnen damit?
Nach 50 Jahren gewöhnt man sich daran, aber so eine Aufmerksamkeit wie in diesem Jahr gab es zuvor nicht. Ich denke mir, vielleicht ist es doch wichtig, etwas zu sagen, damit solche wie Dobrindt nicht das Sagen haben.
Ihr Mann hat dem Attentäter vergeben, und Sie?
Rudi hat ihm Briefe geschrieben. Er hat sie beantwortet und zugegeben, dass er Fehler gemacht hat. Dann hat er Selbstmord begangen. Ich könnte ihm nicht in dem Ausmaß vergeben. Aber es lässt sich relativieren: Wenn man sagt, es ist auch ein Problem der Gesellschaft, in der so etwas passieren konnte.
Nach dem Mordversuch kam es zu heftigen Ausschreitungen. Wie stand Rudi Dutschke zum Thema Gewalt?
Das ist nicht so einfach zu beantworten. Die Befreiungsbewegung in der Dritten Welt würde ohne Gewalt nicht gehen, sagte er. Aber in Deutschland könnte man das nicht an wenden. Nach dem Tod von Benno Ohnesorg und dem Attentat auf Rudi wurde das Notstandsgesetz verordnet, einige sahen den Faschismus heraufziehen und nutzten dies als Legitimierung für Gewalt. Rudi war immer gegen diese Art von Gewalt gegen Menschen, gegen Sachen war sie unter Umständen akzeptabel. Auch was die Nazizeit betrifft, war er der Meinung, dass eine Ermordung Hitlers Millionen Menschen das Leben gerettet hätte. Aber, generell wollte er den Dialog mit der Bevölkerung immer weiterführen und war überzeugt, wenn man in den Untergrund geht, ist er zu Ende.
Einige seiner Mitstreiter haben das getan, sich der RAF angeschlossen. Wie ging er damit um?
Rudi hat versucht, sie zu überzeugen, dies nicht zu tun. Er hat sie auch ihm Gefängnis besucht. Sie waren aber so geschlossen, hatten keinen Bezug mehr zur Gesellschaft. Man konnte nicht mit ihnen reden.
Wenn man sich die Bücher und Berichte zum 68er-Jubiläum ansieht, dominieren vor allem die Männer. Wo waren die Frauen?
Das war absolut ein Problem. Ich habe es Rudi gesagt, er war sich dessen nicht bewusst. Ich habe ihm von meiner Idee erzählt: Eine Kommune, wo alle diskutieren können und sich am Haushalt beteiligen, das fand er gut. So hat die Kommunendiskussion angefangen, dann kam Dieter Kunzelmann und hat die Idee anders übernommen und die Kommune 1 gegründet, dort ging es sehr autoritär zu, das haben die Frauen später auch gesagt.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass viele der linken Aktivisten Machos waren. Hat Ihr Mann gekocht oder Windeln gewechselt?
Ja. Ich war nicht sehr gut im Kochen, wir haben entschieden, die Arbeit zu teilen (lacht ). Er hat gelernt, einen bestimmten panierten Fisch zuzubereiten, den konnte er richtig gut. Mit Windeln-Wechseln hatte er auch kein Problem.
Was hat sich dann für die Frauen verbessert?
Die Frauenbewegung kam mit dem Aufstand der Frauen im SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) Ende ’68. Dann haben sie wirklich ge kämpft und die antiautoritären Ideen weitergeführt. Sie haben begriffen, dass sie die gleichen Rechte in allen Bereichen haben sollten. Und sie kämpfen immer noch dafür.
Sie meinen damit auch die MeToo-Debatte, die sexuelle Belästigung aufzeigt?
Ja, es muss eine Männerbewegung geben, wo sich ein Bewusstsein durchsetzt, dass sie sich anders verhalten. Ich denke, die Mehrheit versteht das, aber die Großen da in Hollywood und überall, die denken, dass sie tun können, was sie wollen.
Welchen Weg wäre Rudi Dutschke eigentlich gegangen, würde er noch leben?
Das weiß ich nicht (lacht). Wenn er bei den Grünen gewesen wäre, würde er sicher Kritik üben. Das Problem bei Politikern ist, dass sie so viele Kompromisse machen müssen, Ziele und Ideale verschwinden dabei, das hätte er nicht gewollt. Vielleicht würde er es als Alternative sehen, dass man eine neue APO (Außerparlamentarische Opposition, Anm.) braucht.
Sie haben Ihr Buch zu den 68ern Ihren sieben Enkelkindern gewidmet. Was können junge Menschen von Rudi Dutschke lernen?
Wenn du willst, dass es den Menschen gut geht, musst du auch was tun, denn die Gesellschaft ist nicht darauf gerichtet – die Strukturen müssen geändert werden.
Also, wieder auf die Straße gehen, weg vom Computer?
Vielleicht ändert sich etwas, wenn es so schlimm wird wie in den USA. Wenn die Menschen erkennen, dass es so nicht so weitergehen kann. Auch 1965 hat es geheißen, die junge Generation ist unpolitisch. Dann 1966 war plötzlich alles anders, vielleicht geschieht das wieder.
Buchtipp: „1968 – Worauf wir stolz sein dürfen“ von Gretchen Dutschke, erschienen in der kursbuch.edition
Zur Person: Rudi Dutschke: Vom DDR-Flüchtling zum Studentenführer
Alfred Willi Rudolf „Rudi“ Dutschke kam am 7. März 1940 bei Luckenwalde zur Welt. Er wollte Sportjournalist werden, durfte aber nicht in der DDR studieren, weil er öffentlich gegen die Wehrpflicht auftrat und zudem christlich engagiert war. Dutschke flüchtete nach West-Berlin und lernte dort in einem Cafe die Theologiestudentin Gretchen Klotz aus Ilinois, USA, kennen. 1966 heirateten sie, bekamen drei Kinder (Hosea-Che, Polly-Nicole und Rudi-Marek). Dutschke verstand sich als Marxist, war aber gegen den DDR-Sozialismus. Nach dem Attentat 1968, das er schwerst verletzt überlebte, zog die Familie in eine Kommune nach Dänemark. Rudi Dutschke fand nur sehr langsam wieder ins Leben zurück, Mitte der 1970er-Jahre begann er sich für Ökologie zu interessieren und gründete die Bewegung der Grünen mit. Am 24. Dezember 1979 ertrank er mit 39 Jahren nach einem epileptischen Anfall in der Badewanne, seine Epilepsie war eine Spätfolge des Attentats. Gretchen Dutschke zog damals wieder in die USA, dann nach Dänemark und 2009 wieder zurück nach Berlin.
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