Frankreich: Bis zu 330.000 Opfer von Missbrauch in Kirche seit 1950

Frankreich: Bis zu 330.000 Opfer von Missbrauch in Kirche seit 1950
Eine Untersuchungskommission hat einen 2.500 Seiten umfassenden Bericht vorgelegt.

Zwischen 2.900 und 3.200 Priester und Mitarbeiter der katholischen Kirche Frankreichs sollen 216.000 Kinder und Jugendliche seit 1950 sexuell missbraucht haben. Unter Einbeziehung der von der Kirche betriebenen Einrichtungen könne man von bis zu 330.000 Opfern ausgehen, sagte der Präsident der Unabhängigen Missbrauchskommission in der Kirche (CIASE), Jean-Marc Sauvé, am Dienstag in Paris. Die Zahlen seien "erschütternd".

Die Ergebnisse basieren auf Daten aus Archivmaterial von Kirche, Justiz, Staatsanwaltschaft, aus Medienrecherchen sowie auf Zeugenaussagen, die die Sauve-Kommission aus 21 Juristen, Medizinern, Historikern und Theologen auf einer regelrechten Tournee durch das Land gesammelt hat. Rund 26.000 Stunden haben die Mitglieder nach eigenen Angaben seit 2018 ehrenamtlich geleistet, um Tausende Zuschriften zu bearbeiten und Gespräche mit Betroffenen zu führen. Der 2.500 Seiten umfassende Bericht ist am Dienstag öffentlich an die Bischofskonferenz sowie die Konferenz der Ordensleute übergeben worden.

80 Prozent der Opfer seien Buben im Alter zwischen 10 und 13 Jahren gewesen, 20 Prozent Mädchen unterschiedlicher Altersgruppen. Bei den Taten soll es sich in fast einem Drittel der Fälle um Vergewaltigungen gehandelt haben. "Die Zahlen sind erschütternd und können nicht folgenlos bleiben", sagte der Kommissionspräsident.

Milliarden als Entschädigung

Die Politik- und Verwaltungswissenschaftlerin Sylvette Toche (73), Generalsekretärin der Kommission, beschreibt in der Zeitung "La Croix" am Montag, wie sehr sie die individuellen Berichte der Opfer in Briefen und Anhörungen persönlich mitgenommen hätten. "Die nüchternsten waren oft die schrecklichsten", sagt sie.

Der Gründer des Opferverbandes La Parole Libérée (Das befreite Wort, Anm.), François Devaux, mahnte die Kirche bei der Vorstellung des in Frankreich mit Spannung erwarteten Berichts: "Sie müssen für alle diese Verbrechen bezahlen." Dabei werde es um Milliardensumme gehen.

Die Französische Bischofskonferenz wiederum kündigte nach der Vorstellung der Studie Konsequenzen an. "Angesichts so vieler zerrütteter, oft zerstörter Leben schämen wir uns und sind entrüstet", sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Éric de Moulins-Beaufort, am Dienstag. Man werde alle erforderlichen Schritte einleiten, damit sich ein solcher Skandal nicht wiederhole. Auf der Sitzung der Kirchengremien im November sollten Maßnahmen getroffen werden.

Für die katholische Kirche in Frankreich ist der Befund jedenfalls kritisch: Zwar bezeichnet sich noch jeder zweite der etwa 67 Millionen Einwohner als katholisch. Doch selbst kirchliche Medien beziffern die "Praktizierenden" mit nur noch zwei Prozent der Bevölkerung. Um die "älteste Tochter der Kirche", so ein alter päpstlicher Ehrentitel Frankreichs, steht es also schlecht.

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