Keine Spur von Europamüdigkeit

Wer mit Unterstützung des Erasmus-Programms ins Ausland geht, verbringt nur selten seine gesamte Zeit im Hörsaal.
60.000 Österreicher nutzten Erasmus und lernten einen neuen Studienort kennen. Nun wird die Zukunft verhandelt.

Drei Millionen persönliche Geschichten hat das EU-Austauschprogramm Erasmus bereits hervorgebracht. Die Wiener Jus-Studentin Judith hat eine von ihnen zu erzählen. Vergangenes Jahr studierte sie im Rahmen des Programms ein halbes Jahr an einer Pariser Universität. Seitdem weiß sie, dass sie „auch auf 9 Quadratmetern und mit durchgelegener Matratze überleben kann“. Die Studentin kann von Spaziergängen entlang der Seine erzählen, von Freunden aus ganz Europa, von Sprachschwierigkeiten und der langwierigen Wohnungssuche.

Zahl der Studenten steigt jährlich

Was vor 25 Jahren mit 3244 abenteuerlustigen jungen Menschen begann, nutzten seither fast 3 Millionen. „Eine der größten Erfolgsgeschichte der EU“, nennt das die EU-Kommissarin für Bildung, Androulla Vassiliou.

Österreich nimmt seit 1992 am Programm teil. Rund 60.000 Österreicher haben seither mit Erasmus im Ausland studiert. Und die Zahl der österreichischen Stipendiaten steigt jährlich. Damit ist Österreich eines der wenigen Länder, in denen die Zahl der Erasmus-Studierenden seit 20 Jahren kontinuierlich größer wird (siehe Infografik).

Hochgerechnet auf die Bevölkerungszahl hat Österreich nach Liechtenstein, Malta und Spanien die vierthöchste Dichte an Erasmus-Studenten. Jeder zehnte österreichische Uni-Absolvent hat einen Erasmusaufenthalt absolviert.

Die meisten Studenten verschägt es dabei nach Spanien. Kein anderes Land ist für den Austausch beliebter. Schuldenkrise hin oder her. Wer ein Praktikum im Ausland machen möchte, bevorzugt allerdings Deutschland. Hier dürften die Sprachkenntnisse ausschlaggebend sein.

EU-Budget-Debatte

Je nach Land erhält ein Erasmus-Student zwischen 150 und 300 Euro monatlich. Mit 450 Millionen Gesamtkosten fällt Erasmus im aktuellen 130 Milliarden Euro umfassenden EU-Haushalt kaum ins Gewicht. Dennoch ist die Finanzierung des Programms derzeit in Schwebe. Die vergangenen Budgeteinsparungen kürzten auch die finanziellen Mittel des Erasmus-Programms, eine Aufstockung ist bisher nicht beschlossen worden. Die EU-Regierungen und das Europaparlament haben aber am Freitag die entscheidenden Verhandlungen im Streit um das EU-Budget 2013 begonnen. Bereits Ende Oktober erklärte der Europaminister Mavroyannis, es werde so rasch wie möglich eine Abstimmung über den von der Kommission vorgelegten Berichtigungshaushalt geben. Dieser sieht 90 Millionen Euro zusätzlich für Erasmus vor.

Wie es dann 2013 mit Erasmus weitergeht, hängt vom Budgetstreit mit den Regierungen ab. Die zuständige Stelle in Wien, der Österreichische Austauschdienst, sieht die Zuschüsse für Erasmus-Studenten im laufenden Studienjahr für gesichert.

Ob Europa in Zeiten harter Sparanstrengungen abendliche Trinktouren durch spanische Bars mitfinanzieren sollte, kann natürlich diskutiert werden. Doch bei Erasmus geht es gerade darum, die Welt jenseits der Hörsäle kennenzulernen. Statt guter Noten bringen die Studenten oftmals Wichtigeres zurück: Lebenserfahrung, Erinnerungen, Sprachkenntnisse. Und ihre ganz persönlichen Geschichten.

Der deutsche Schauspieler Daniel Brühl und andere europäische Prominente haben vor den EU-Budgetverhandlungen am Freitag in Brüssel eine ausreichende Finanzierung von Erasmus gefordert. "In den vergangenen 25 Jahren hat das beliebte Erasmus-Programm der Europäischen Union fast drei Millionen jungen Europäern ermöglicht, im Ausland zu studieren", hieß es in einem Schreiben. Eine ganze Generation habe so gelernt, mit Menschen aus anderen Kulturen zu leben und zu arbeiten.

"Wir hoffen, dass die Budgets für Erasmus in 2012/2013 ausreichend sein werden, um die den Studenten bereits gemachten Zusagen zu erfüllen", hieß es in dem Schreiben, das von hundert Prominenten etwa aus den Bereichen Kultur, Medien und Sport unterzeichnet wurde. "Ansonsten könnte Tausenden eine möglicherweise ihr Leben verändernde Erfahrung entgehen." Zu den Unterzeichnern gehören neben Brühl auch der Regisseur Detlev Buck, die Autorin Cornelia Funke, der TV-Moderator Ranga Yogeshwar, der spanische Kinomacher Pedro Almodovar oder der frühere französische Fußball-Nationalspieler Lilian Thuram.

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Das Erasmus-Programm ist eines der erfolgreichsten Programme der Europäischen Union. Benannt ist es nach Erasmus von Rotterdam, einem in seiner Zeit universal europäisch gebildeten Humanisten. Zentrale Bestandteile sind die Anerkennung von Studienleistungen im Ausland anhand des European Credit Transfer Systems (ECTS) und die finanzielle Unterstützung von Austauschstudenten. Es können Studienaufenthalte, Auslandspraktika im Rahmen des Studiums, Lehraufenthalte sowie Fortbildung von allgemeinem Hochschulpersonal gefördert werden. Das Erasmus-Programm steht allen Studierenden offen, die an einer teilnehmenden Hochschule regulär studieren. Entsprechendes gilt für das Lehr- und Verwaltungspersonal.

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