EU-Verteidigungspakt kommt: "Kein Rütteln an der Neutralität"

Sebastian Kurz unterzeichnete für Österreich.
23 EU-Mitgliedstaaten bringen ständige Zusammenarbeit auf den Weg.

Schwerfällig, unterfinanziert und schlecht ausgestattet: Die EU gilt im Verteidigungsbereich als wenig schlagkräftig. Beim Treffen der EU-Außen- und Verteidigungsminister legten 23 Staaten am Montag den Grundstein für eine ständige Zusammenarbeit und feierten dies als großen Schritt in Richtung Verteidigungsunion.

Was wurde konkret beschlossen und was bedeutet das für die Neutralität Österreichs? Die wichtigsten Antworten im Überblick:

  • Wo steht Europa im Verteidigungsbereich bisher?

1954 waren heutige EU-Mitgliedstaaten mit dem Versuch gescheitert, über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) eine gemeinsame Armee zu gründen. Über Jahrzehnte war die Verteidigungspolitik in Europa darauf kein Thema mehr. Auf die Bremse trat nach seinem EU-Beitritt 1973 auch Großbritannien, das fürchtete, dass die NATO durch eine europäische Verteidigungsunion geschwächt werden könnte.

Seit der Jahrtausendwende gab es zwar neue Anläufe, doch es blieb bei einem Flickenteppich. So wurden 2005 gemeinsame "EU-Kampfgruppen" mit bis zu 3.000 Soldaten gegründet - doch bei Auslandsmissionen eingesetzt wurden sie wegen Streits um Finanzierungsfragen bisher nie. Im Frühjahr bekam die EU dann erstmals ein militärisches Hauptquartier, bisher aber nur für Ausbildungseinsätze im Ausland.

  • Was hat die EU nun auf den Weg gebracht?

Der EU-Vertrag sieht in den Artikeln 42 und 46 die Möglichkeit vor, auch in kleineren Staatengruppen die EU-Verteidigung auszubauen - eine Art "Koalition der Willigen". Die ständige strukturierte Zusammenarbeit (englisch abgekürzt: PESCO) wurde bisher aber nicht genutzt, um einen offenen Konflikt mit Großbritannien zu vermeiden. Nach dem Brexit-Votum der Briten im vergangenen Jahr starteten Deutschland und Frankreich dann eine neue Initiative, die EU in diesem Bereich zu stärken.

  • Was bedeutet die PESCO für die Teilnehmer?

Mit der am Montag unterzeichneten Notifizierungsurkunde verpflichten sich die teilnehmenden Länder, 20 Bedingungen einzuhalten. Dazu gehört die Verpflichtung, die Verteidigungsausgaben regelmäßig zu steigern - ein konkretes Ziel gibt es aber nicht. Zudem sagen die PESCO-Mitglieder zu, "wesentliche Unterstützung" in Form von Truppen und Material für EU-Auslandseinsätze bereitzustellen. Der offizielle Beschluss, die ständige strukturierte Zusammenarbeit zu starten, soll am 11. Dezember fallen.

Nach dem EU-Rat der Außen- und Verteidigungsminister Montag in Brüssel sagte Österreichs amtierender Außenminister Sebastian Kurz, die Neutralität sei "Teil der österreichischen Identität". Daran werde nicht gerüttelt. Es gebe immer faktische und rechtliche Möglichkeiten eines Staates. Österreich könne sich beispielsweise im Ausbildungsbereich an PESCO beteiligen. Positiv sieht Kurz, dass sich die Staaten "sogar was sparen können - durch gemeinsamen Einkauf und durch Koordination". Es sei bekannt, dass die Europäer teilweise pro Stück Militärgerät wesentlich mehr ausgeben als in anderen Regionen der Welt.

"Dadurch dass wir ein kleiner bis mittlerer und neutraler Staat sind, haben wir natürlich andere Grundvoraussetzungen als andere Länder der EU. Das ändert nichts daran, dass die stärkere Zusammenarbeit im Sicherheits- und Verteidigungsbereich für ganz Europa und uns ein mehr an Sicherheit schaffen kann. Daher streben wir eine stärkere Zusammenarbeit an. Aber stets im Einklang mit der Neutralität, ganz klar". Dies sei "in dem Fall auch gewährleistet".

  • Welche Mitgliedstaaten sind nicht an Bord?

Wie erwartet unterzeichnete Großbritannien nicht. Auch Dänemark, Irland und Portugal taten dies am Montag nicht. Diplomaten schließen aber nicht aus, dass es Nachzügler geben könnte, die sich noch bis zum 10. Dezember melden können. Selbst danach können weitere Mitglieder aufgenommen und auch Drittstaaten von Fall zu Fall in Projekte eingebunden werden.

  • Um welche Verteidigungsprojekte geht es?

Bisher haben 15 Mitgliedstaaten 47 Projekte vorgeschlagen. Deutschland plädiert insbesondere für ein medizinisches Einsatzkommando, ein Netz von Logistikdrehkreuzen und eine gemeinsame Offiziersausbildung. Zum PESCO-Start im Dezember sollen erste Projekte ausgewählt werden. Ziel ist auch eine verstärkte Rüstungszusammenarbeit. Die Zahl von derzeit fast 180 verschiedenen Waffensystemen in der EU soll verringert werden, was Einsparungen und eine vereinfachte Zusammenarbeit nationaler Truppenteile bringen könnte.

  • Wird aus der EU damit schon eine Verteidigungsunion?

Die PESCO ist neben dem Europäischen Verteidigungsfonds für gemeinsame Rüstungsprojekte und einer systematischen Abstimmung nationaler Ausgabenpläne einer von drei neuen Ansätzen der EU in diesem Bereich. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sah die PESCO-Notifizierung am Montag als Gründungsdatum für "die europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion" und als weiteren Schritt "in Richtung der Armee der Europäer".

Einige Experten halten das für übertrieben. Von einer echten Verteidigungsunion oder gar einer autonom agierenden "EU-Armee" sei Europa noch "Lichtjahre entfernt", sagt der französische Verteidigungsexperte Frederic Mauro, der in der Frage regelmäßig das EU-Parlament berät. Die PESCO ist für ihn "eine Täuschung". Denn viele der nun groß angekündigten Vorhaben hätten für Mauro auch ohne sie auf den Weg gebracht werden können.

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