"An Hunger stirbt man leise"
Seit Wochen schon hat Karima Nouhou den "Ernährungsplan" für sich und ihre fünf Kinder umgestellt – von zwei auf eine Mahlzeit pro Tag. So streckt die 30-jährige Nigerin ihre Vorräte, die bedrohlich schnell zu Ende gehen. Für zwei, vielleicht für drei Wochen reichen sie noch. Und dann? Die junge Mutter senkt den Blick und schweigt. "An Hunger stirbt man leise", weiß Caritas-Präsident Franz Küberl.
In Niger ist schon zu Normalzeiten ein Gutteil der Bevölkerung auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, dennoch stirbt eines von sechs Kindern vor dem fünften Lebensjahr. Jetzt, da das Land wie die gesamte Sahelzone unter einer schlimmen Dürre leiden, hat sich die Lage nochmals verschärft. 15 bis 20 Millionen Menschen der Region sind von der Hunger-Katastrophe betroffen.
Doch es sind nicht nur solche akuten Not-Fälle, die die Menschen dahinraffen – die Gründe, warum Familien hungern, sind vielfältig.
Geringe ErträgeOft tragen veraltete Anbaumethoden mitschuld, dass die Ernten nicht für ein ganzes Jahr ausreichen. Unzureichende Lagerungsmöglichkeiten und fehlende lokale Märkte sind zusätzliche Hürden. Schlechte Regierungsführung Manche Regierungen vernachlässigen Investitionen in Wirtschaft, Bildung und Gesundheit. Durch Korruption versickern zusätzlich Milliarden.
Bewaffnete Konflikte Kriege zwingen Menschen, ihre Felder zu verlassen. Oft werden ganze Landstriche verwüstet.
Hohe Getreidepreise Durch Missernten, Agrarspekulation und Anbau von Biosprit (die Fläche fehlt für Getreide) kam es zu einer Explosion der Getreidepreise – in bestimmten Regionen des Niger etwa verteuerte sich Sorghum binnen Jahresfrist um das Zweieinhalbfache.
Globaler Agrarhandel Der entwickelte Norden fordert von den Entwicklungsländern, die Märkte zu öffnen, stützt aber die eigenen Produzenten mit Agrarsubventionen. Die dann exportierten Waren sind oft billiger als die auf den lokalen Märkten, die einbrechen.
Landraub (Landgrabbing)Regierungen, Konzerne und Investment-Fondsverwalter kaufen oder pachten in Afrika, Asien und Osteuropa riesige Flächen, um dort Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung anzubauen, Agro-Treibstoffe herzustellen oder zu spekulieren.
Klimawandel Dieser trifft vor allem die ärmsten Regionen der Welt. Extrem-Wetterlagen, wie Dürre oder Überschwemmungen, vernichten regelmäßig Ernten.
Zur Änderung der Situation forcieren Nichtregierungsorganisationen die ländliche Entwicklung. Dabei geht es unter anderem um verbesserte Anbaumethoden, die Verteilung von hochwertigem Saatgut und die Herstellung von biologischem Dünger. In Schulungen werden die Menschen unterwiesen, wie man Getreidespeicher anlegt, Wasserrückhaltebecken in Dürre-Gebieten gräbt und mit Mikro-Krediten kleine Wirtschaftsaktivitäten startet und so – etwa mit der Produktion und dem Verkauf von Seifen – das Haushaltseinkommen aufbessern kann.
In den Industrieländern versuchen NGOs das Hunger-Thema zu problematisieren – wie ab Freitag bei einer Konferenz der Caritas in Wien: www.zukunft-ohne-hunger.at
Caritas-Präsident: "Die Ärmel aufkrempeln"
Die von Hunger betroffenen Menschen haben nur dann eine Chance auf Zukunft, wenn wir gemeinsam mit ihnen die Ärmel aufkrempeln", sagt der Präsident der Caritas-Österreich, Franz Küberl, im KURIER-Gespräch. Er fordert daher einen "nationalen und internationalen Schulterschluss" – ist aber skeptisch, was die Realisierung anbelangt.
Was den Steirer besonders ärgert: Dass sich auch Österreich schon im Jahr 1970 im Rahmen einer UN-Vereinbarung (Resolution 2626) verpflichtet hat, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Doch davon ist man meilenweit entfernt. Im Vorjahr lag der Wert laut OECD-Angaben gerade einmal bei 0,27 Prozent. Das ist sogar ein Rückgang um fast 15 Prozent im Vergleich zu 2010. Mehr gekürzt als Österreich haben nur die Krisenländer Griechenland (minus 39,3 Prozent) und Spanien (minus 32,7 Prozent).
"Es wird bei den Ärmsten gespart", analysiert Küberl, "ich fordere eine Schubumkehr bei der Entwicklungshilfe."
Tipps: Was jeder Einzelne tun kann
Angesichts von Millionen Hungernden stellt sich die Frage, was jeder Einzelne hierzulande dagegen tun kann. Es gibt Ansätze.
Fairtrade-Produkte kaufen Egal, ob Kaffee, Bananen oder Kleidung – Waren, für die Hersteller andernorts einen gerechten Preis/Lohn erhalten, sichern den Menschen dort das Überleben.
Lokale und saisonale Produkte kaufen Erdbeeren in unserem Winter müssen nicht sein. Lange Transportwege sind Energie-intensiv und beschleunigen den Klimawandel, unter dem vor allem die armen Regionen der Welt leiden: Dürren und Überschwemmungen vernichten die Ernten und führen zu Hungersnöten.
Energie sparen Rad oder Öffis statt Auto, Bahn statt Flugzeug und Energiesparlampe statt Glühbirne. Nur wer Nachhaltigkeit vorlebt, kann sie auch einfordern und so den Klimawandel (siehe oben) eindämmen.
Druck ausüben Man kann Politiker damit konfrontieren, warum Österreich bei den staatlichen Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) seit Jahr und Tag säumig ist (siehe auch rechts) . Man kann Wirtschaftspolitiker auf die hohen Agrarsubventionen des Westens ansprechen, die Märkte in der "Dritten Welt" ruinieren. Und man kann Unternehmen anschreiben, ob ihre Produkte nachhaltig, ökologisch und unter fairen (Lohn-)Bedingungen hergestellt werden.
Spenden Last, but not least können wir etwas von unserem Wohlstand abgeben, damit weniger Menschen verhungern.
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