Wie Dickens Shakespeares Haus vor dem Umzug nach Amerika bewahrte
Shakespeares Heimatdorf lockt jährlich sechs Millionen Besucher. Sein Geburtshaus wäre den Briten dabei einmal fast verloren gegangen – doch ein anderer literarischer Meister intervenierte
„Und hier“, sagt die Museumsführerin und zeigt in dem niedrigen Raum auf eine Stelle in den ausgetretenen Holzdielen, „wurde William Shakespeare geboren.“ Hier? Direkt vor dem Kamin? Stand da das Bett? Die Führerin schüttelt den Kopf. „Aber nein, im Bett wurden keine Kinder zur Welt gebracht“, sagt sie. „Das war zu wertvoll.“ Ein surrealer Kontrast.
Immerhin werden auch noch 460 Jahre nach der Geburt von William Shakespeare seine Stücke auf den größten Theaterbühnen der Welt aufgeführt.
Gandalf-Darsteller Ian McKellen tourte zu Jahresbeginn mit einer Variation von Heinrich IV. durch Großbritannien. Michael Niavarani bringt seit zehn Jahren auch Shakespeares Stücke auf die Bühne des Wiener Globe. Und mit 410 Film- oder Fernsehadaptionen ist Shakespeare weiterhin der meistverfilmte Autor aller Zeiten.
Das macht viele neugierig. Und so besuchen rund sechs Millionen Menschen im Jahr das Städtchen Stratford-upon-Avon zwei Autostunden nordwestlich von London. Das Highlight ist dabei meist ein fünfgiebeliges, dreistöckiges Fachwerkhaus in der Henley Street, sein Geburtshaus.
Und doch wäre diese Institution England beinahe abhandengekommen.
Amerikanischer Traum
Denn im September 1847 stand das renovierungsbedürftige Haus zum Verkauf. Auf einem Plakat wurde die Versteigerung „des wahrhaft herzergreifenden Relikts einer glorreichen Epoche“ angekündigt. Eine Nachricht, die bis nach Amerika gelangt. Und dort zu Zirkusdirektor P. T. Barnum .
P. T. Barnum, der im US-Film „The Greatest Showman“ von Hugh Jackman verkörpert wird, hatte Stratford zwei Jahre zuvor besucht, war von Shakespeare angetan und fasste einen, wie er fand, famosen Plan: Er würde das Haus anonym kaufen, jeden einzelnen Ziegelstein, und jeden Holzbalken zu sich in die USA schiffen lassen, das englische Tudor House dort wieder aufbauen und es als Star seines Kuriositätenkabinetts präsentieren.
„Ich schickte“, schrieb er in seiner Autobiografie, „bald einen vertrauenswürdigen Agenten nach Stratford-on-Avon, bewaffnet mit Bargeld und allen Vollmachten, um das Shakespeare-Haus, wenn möglich, zu kaufen und es sorgfältig abzubauen, in Kisten zu verpacken und nach New York zu verschiffen.“ Der Agent wurde gewarnt, Barnums Namen nicht zu erwähnen und keinen Hinweis darauf zu geben, dass das Gebäude England jemals verlassen würde.
Britische Mobilisation
Doch den Briten – geübt in Spionageangelegenheiten – blieb Barnums Plan nicht verborgen. Und das rief einen anderen Literaten auf den Plan.
Auch Charles Dickens hatte Stratford und das Shakespeare-Haus Mitte des 19. Jahrhunderts besucht.
In einer Fensterscheibe im ersten Stock – die damals als Gästebuch diente – findet man noch heute seinen eingeritzten Namen. Dickens war auf Recherchereise für seinen dritten Roman, Nicholas Nickleby, und würde Shakespeares Geist dabei im illustren Theaterdirektor Mr. Crummles verewigen. Dickens war ein großer Theaterfan und als solcher konnte er den Umzug dieser kulturellen Institution nach Amerika nicht goutieren. Als in London und Stratford Komitees zur Rettung des Shakespeare Hauses gegründet wurden, zögerte er nicht und bot jene Dienste an, die, so hoffte er, am meisten Aufmerksamkeit – und in der Folge Spendengelder – schaffen würde: seine Theaterkünste.
„In Rollen dieser Art“, hieß es in der Kritik seiner Performance als Richter Shallow in Shakespeares „Die Lustigen Hausfrauen von Windsor“ etwas später, „hat Herr Dickens nur wenige Konkurrenten. Selbst auf der Bühne, denn es gibt nichts in seiner Ansprache, was auf einen Amateur schließen lässt – nichts ’Langsames’ oder Gezwungenes.“
Aber würden die Aufführungen und Lesungen, würden sein Engagement und das anderer Künstler ausreichend Gelder lukrieren?
Mit zusammengebissenen Zähnen saß das Komitee von „Noblemen und Gentlemen“ am 16. September 1847 dann wohl mit ihren gesammelten Geldern bei der Versteigerung. Die Auktion begann mit 1.500 Guineas (umgerechnete und inflationsangepasste 231.000 Euro). Das zweite Gebot war mit 2.000 Guineas deutlich höher. Und so beschloss das Komitee, alles zu riskieren. Sie hätten, ließen sie den Auktionator wissen, 3.000 Guineas (umgerechnete und inflationsangepasste 457.000 Euro) zur Verfügung. Und der andere Bieter? Der gab sich geschlagen.
Das Komitee gewann, das Haus durfte in England bleiben und kann so noch heute Führungen bis hin zur Geburtsstelle anbieten.
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