Streit um Deutsch im Unterricht: Als Polizisten Schultore zunagelten

Wer eine offizielle Abschlussprüfung ablegen wollte, musste nach Lundenburg in Mähren fahren.
Die Tschechen kämpften um 1900 dafür, dass ihre Kinder in der Schule in ihrer Muttersprache reden. Wie Deutschnationale das verhinderten.

Friedrich Schlögel, bekannter Slawenhasser, ätzte 1860: „Wien gehört nicht mehr den Wienern.“ Wie viele fürchtete er, dass die deutschsprachigen Österreicher bald die Minderheit in der Donaumetropole sein könnten. Auch in anderen Städten des heutigen Österreich – vor allem dort, wo durch die Industrialisierung viel Personal gebraucht wurde – machten Einheimische bald nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung aus.

Die Angst, von Fremden überrollt zu werden, ist nicht neu, wie Historikerin Sylvia Hahn (Uni Salzburg) feststellt. In Wien waren es die Tschechen, die zur größten Minderheit wurden, im nö. Felixdorf zum Beispiel die Ungarn.

Da die Zugewanderten Kinder hatten, mussten sie in die Schule. Zumindest in der Theorie: „In Felixdorf wurden die Kinder oft aussortiert und in die Textilfabrik geschickt, ohne dass die Schulpflicht ernst genommen wurde“, weiß Hahn. Ähnliches dürfte auch für die Kinder der „Ziegelbehm“ gegolten haben, die am Wienerberg arbeiteten.

Dienstmädchen, Arbeiter und Handwerker strömten nach Wien

Aber es waren nicht nur Arbeiter, die im 19. Jahrhundert nach Wien strömten, sondern auch Dienstmädchen und Handwerker. Kein Wunder also, dass die erste tschechische Schule, die in Wien eröffnet wurde, eine Schule für Lehrlinge war, erläutert der Historiker Karl Brousek. Er hat sich mit der Geschichte der tschechischen Schule und dem Komensky-Schulverein in Wien beschäftigt.

Bald kamen nicht nur Lehrlinge, sondern auch ganze Familien nach Wien. Historikerin Vlasta Vales sagt, dass „viele Tschechen über die Lage dieser Kinder besorgt waren, weil sie dem Unterricht nicht folgen konnten, da sie kein Deutsch sprachen.“ Nur logisch, dass Eltern Angst hatten, dass ihre Kinder in der Schule zu wenig lernen und ihnen so die Zukunft verbaut wird.

In den Schulen wurde meist wenig Rücksicht genommen. Ähnlich wie Gastarbeiterkinder in den 1960er- und 70er-Jahren schnell in die Sonderschule abgeschoben wurden, „hat man auch bei den Böhmen mangelnde Deutschkenntnisse schnell als Dummheit interpretiert“, vermutet Vales. „Das zeigte sich in den Karikaturen vom dummen Wenzel.“

Der Wunsch, eine tschechische Schule zu gründen, war verständlich. 1883 wurde die erste in der Quellenstraße eröffnet – allerdings bekam sie kein Öffentlichkeitsrecht und die Kinder mussten in der Regel ins tschechische Lundenburg (Břeclav) fahren, um öffentliche Abschlussprüfungen abzulegen, weiß Walter Sturm vom Bezirksmuseum Favoriten.

Böhmische Kinder, die tschechische Schulen besuchten, blieben die Ausnahme. In Wien lebten um 1900 rund 300.000 Tschechen – nur ein paar Hundert Kinder gingen in tschechische Schulen. Doch die waren den Deutschnationalen ein Dorn im Auge. Der nö. Landtagsabgeordnete Rudolf Kolisko brachte daher im Jahr 1909 einen Antrag ein, dass in Schulen Wiens und Niederösterreichs nur auf Deutsch unterrichtet werden müsse – doch der Kaiser lehnte den Antrag ab. In deutschnationalen Wien wusste man sich zu „helfen“. Aus fadenscheinigen Gründen – etwa, dass Haken zu hoch hängen würden – wurden die Schultore öffentlichkeitswirksam von der Polizei zugenagelt.

Cillier Schulstreit in Slowenien

Der Sprachenstreit war kein Wiener Phänomen. Beispiel ist der Cillier Schulstreit 1896: Die Stadt war eine deutsche Enklave in der slowenisch dominierten Untersteiermark. Slowenen forderten slowenische Parallelklassen in deutschen Gymnasien und stellten so die Sprachhierarchie infrage. Als Angriff auf das „Deutschtum“ gesehen, eskalierte der Streit zu einer politischen Krise.

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