Cimitero delle Fontanelle: Neapels Tempel der Seelen
Ob zu Allerheiligen oder im Advent – Neapolitaner sind ihren Toten besonders ergeben. Wie sehr, erlebt man am Cimitero delle Fontanelle, dem Friedhof Fontanelle. Die unzähligen Gebeine und Totenschädel aus den ehemaligen Massengräbern werden besucht und betreut als wären sie die von Angehörigen.
Als die Pest in süditalienischen Neapel wütete und Mitte des 17. Jahrhunderts fast die Hälfte der Einwohner dahinraffte, fand sich in den Kirchen, wo die Toten bis dahin meist begraben worden waren, kein Platz mehr. Deswegen beschloss man, die Tuffsteinhöhlen, die sich „extra moenia“ – außerhalb der Stadtmauern – befanden, als Massengräber zu nutzen. Später fanden in den Fontanelle auch die Opfer von Vesuv-Ausbrüchen und den zwei Choleraepidemien 1836 und 1837 ihre letzte Ruhestätte.
Dass dieser schaurige Ort als Friedhof und nicht als Beinhaus bezeichnet wird, hat seine Richtigkeit. Er ist nämlich so etwas wie das Sinnbild eines in ganz Italien fest verankerten Glaubens, der jedoch an keinem anderen Friedhof so greifbar ist wie in diesen Höhlen: Die Verstorbenen halten ihre schützende Hand über die Hinterbliebenen.
Und so heißt es im neuen Film „Nostalgia“ des neapolitanischen Regisseurs Mario Martone: „Wenn du es schaffst, dann leg einen Polster für dich im Cimitero delle Fontanelle ab. Wenn man die Toten gut behandelt, dann helfen sie einem.“ Schon der Eintritt in den Friedhof Fontanelle ist überwältigend. Es ist, als befände man sich in einer prähistorischen Kathedrale, in einem Tempel der Seelen. Das Gelände erstreckt sich auf über dreitausend Quadratmeter, ist wie eine Kirche in „Navate“, Gänge, aufgeteilt, die bis zu fünfzehn Meter hoch sind. An den Seiten der Gänge liegen rechts und links Berge von Gebeinen und Totenschädel – Knochen von mindestens dreißigtausend Menschen.
Es waren die frommen Frauen des Viertels Rione Sanità, in dem sich der Friedhof befindet, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts unter Leitung ihres Priesters Gaetano Barbanti an die Arbeit machten und in einem Akt der Barmherzigkeit die Gebeine und Totenschädel polierten und ordentlich aufstapelten.
Heute sieht man neben und auf den sterblichen Überresten vergilbte Blumensträuße aus Plastik, Fotos von Toten, Kreuze, Puppen. Immer wieder kommt jemand vorbei, hinterlässt kleine Devotionalien und betet für die Namenlosen. Die eine oder der andere vertraut ihnen aber auch Sorgen und Wünsche an. Es ist dieser fast schon heidnische Totenkult, der diese Stätte mit Leben erfüllt und auch für die Legendenbildung einen fruchtbaren Boden schafft. Eine davon betrifft „O cape de Pascale“, den Schädel von Pascale, der besonders oft aufgesucht wird. Es heißt, dieser Totenschädel sei der eines Mönchs, der seinen Ergebenen die richtigen Lottozahlen verrät. Heiliges und Profanes sind in Neapel besonders eng verflochten.
Rione Sanità: Das Viertel ist zum Touristenmagnet geworden, weil man hier das typisch Neapolitanische unverfälscht erlebt.
Katakomben: Im Viertel befinden sich die Katakomben San Gaudioso, San Gennaro und San Severo, die man unbedingt besuchen sollte.
Schneeflocke: „Fiocco di neve“ ist eine Spezialität der Konditorei Poppella, die großteils aus Milchschaum besteht und zum Ruhm dieses Viertels beiträgt
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