Polestar 2 neu: Was der Hecktriebler besser kann als der Allradler
So einfach ist das in der neuen E-Auto-Welt. Was bisher bei Verbrennern einen tiefen Eingriff in die Fahrzeugstruktur notwendig gemacht hätte, geht etwa beim elektrischen Polestar 2 quasi aus dem Handgelenk: Die Umstellung von Front- auf Heckantrieb.
So wurde nur zwei Jahre nachdem die ersten Modelle in Österreich ausgeliefert wurden das Antriebskonzept des aus dem chinesischen Geely-Konzern stammenden Polestar 2 grundlegend geändert. Alle Varianten mit nur einem Motor an Bord gehen ab sofort nicht mehr mit Front- sondern Heckantrieb an den Start. Die Allradversion kombiniert dazu einen zweiten Motor, der zusätzlich die Vorderachse antreibt.
Stärkere Motoren, größere Batterie
Hauptgrund für den Wandel sind die im Zuge der Modellüberarbeitung stärker gewordenen Motoren. Deren Antriebskraft auch entsprechend effizient in Vortrieb umzusetzen gelingt eben einfacher dort, wohin die Fliehkraft beim Anfahren den Schwerpunkt der Fuhre ohnehin verschiebt. Und das ist eben nicht die dadurch zwangsläufig weniger Traktion aufbauende Vorderachse.
Soweit die offensichtlichste technische Änderung, die dem Polestar 2 auf die zweite Hälfte seines Lebensweges mitgegeben wurde. Darüber hinaus sind jetzt auch stärkere Batterien an Bord, was in Kombination mit einer Effizienzsteigerung zu deutlich höheren Reichweiten der einzelnen Modelle führen soll.
Wieviel davon in der täglichen Fahrpraxis tatsächlich ankommt, sollten zwei Vertreter der neuen Modellgeneration nun zeigen.
Einerseits ein Polestar 2 Long Range Dual Motor mit Performance Paket und Allradantrieb, einer 82-kWh-Batterie und einer Spitzenleistung von 350 kW (476 PS). Theoretische Maximalreichweite: 568 km
Anderseits ein Polestar 2 Long Range Single Motor mit Heckantrieb, der identen Batteriegröße und einer Spitzenleistung von 220 kW (299 PS). Dessen maximale Reichweite sogar bei 655 km liegt.
Was beide Versionen gemeinsam haben
Optisch lassen sich die beiden Versionen nur von Spezialisten unterscheiden. Aufschluss über den Wesenskern der jeweiligen Variante gibt lediglich ein Blick auf die dezente Beschriftung in der Nähe des vorderen Radgehäuses. Wo allerdings auch nur die Leistungsangabe vermerkt ist, nicht die Antriebsversion.
Im Cockpit herrscht die bekannte noble Zurückhaltung der dem skandinavischen Design verpflichteten Marke. Ein im Stil eines hochgestellten Tablets platzierter Touchscreen in der Mitte des Armaturenträgers und ein nur mit den notwendigsten Daten versorgtes Display vor dem Lenkrad sorgen für die Information der Fahrenden. Ein großes Drehrad zur Regelung der Audioanlage hält die Fahne der analogen Befehlsgeber im Cockpit hoch.
Der breite Mitteltunnel engt die Bewegungsfreihit der vorne Sitzenden allerdings stärker ein, als das in modernen Elektroautos inzwischen üblich ist. Was umso mehr verwundert, als ja auch der Allradantrieb im Polestar 2 keine physische Verbindung zwischen den beiden Achsen benötigt, sondern durch einen direkt an der Vorderachse sitzenden zusätzlichen Motor erreicht wird.
Was neben der Bewegungsfreiheit vorne sonst noch fehlt bei beiden Polestar-2-Modellen, sind ausreichend geräumige Ablagen. Der zweite Becherhalter ist etwa in der tiefen, aber nicht sehr aufnahmefähigen Ablage in der Mittelkonsole versenkt und kann zwar entfernt werden. Wobei sich in dem Fall die Frage stellt, wo er möglichst wenig störend zwischengelagert werden soll.
Licht im Dunkeln
Und weil wir schon bei den Schattenseiten der beiden Nordsterne sind: Wer das Plus-Paket in der Ausstattungsliste ankreuzt, bekommt zwar eine Ambiente-Beleuchtung geliefert, hat damit aber noch immer kein Licht dort, wo es notwendiger wäre. Nämlich an den Lenkstockhebeln, wo sinnigerweise der Lichtschalter angebracht ist. Auch wenn dieser auf Automatik gestellt ist, bleibt die Beantwortung der Frage, wo und wie man Nebelschlussleuchte und Nebelscheinwerfer einschalten kann, im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln.
Für erfreuliche Ablenkung von derlei Unstimmigkeiten sorgt die aufgepeppte Antriebseinheit. Batterien und E-Motoren sind auf dem letzten Stand und geben in der Anwendung bei beiden Modellen wenig Anlass für Kritik. Zwar könnte die gegenüber der Vorgängerversion ohnehin verbesserte Ladeleistung ab 80 % Batteriestand noch etwas höher sein. Aber Vollladungen der Batterie auf 100 % werden in der Praxis ohnehin eher die Ausnahme bleiben. Dies nicht nur, um die Lebenserwartung der Akkus nicht übermäßig zu verkürzen. Auch weil der Weg von den von Polestar empfohlenen maximal 90 % zu 100 % viel Zeit an der Ladesäule kostet. Und nur eine geringfügige Verbesserung der maximalen Reichweite bringt.
Keine Fahrprogramme zur Wahl
Anders als in vielen aktuellen Konkurrenten, werden im Polestar 2 keine Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Fahrprogrammen (von Eco bis Sport) angeboten. Lediglich die Abstimmung der Lenkung kann im Spitzenmodell variiert werden und der Grad der Rekuperation. Das geht zwar dankenswerterweise vom vollwertigen Segeln bis hin zum Ein-Pedal-Fahren. Um zwischen den Modi umschalten zu können, muss allerdings auf dem zentralen Monitor herumgetatscht werden. Das ließe sich mit einem Knopf am Lenkrad oder Schalt-Paddles eleganter lösen. Und hätte den Vorteil, für das Umschalten während der Fahrt die Hände nicht vom Lenkrad nehmen zu müssen.
Antrieb:
Single Motor: Permanentmagnet-Synchronmotor mit 220 kW (299 PS), max. Drehmoment 490 Nm, Heckantrieb.
Dual Motor Performance: Permanentmagnet; asynchron (vorne), synchron (hinten) mit 350 kW (476 PS), max. Drehmoment 740 Nm. Allradantrieb
Batterie: 400V Lithium-Ionen, Kapazität 82 kWh (nutzbar 79 kWh). Ladefähigkeit AC/DC 11 kW / 205 kW
Fahrleitungen:
Single Motor: Beschleunigung 0 - 100 km/h in 6,2 Sekunden. Dual Motor in 4,2 Sekunden. Höchstgeschwindigkeit je 205 km/h
Abmessungen:
Länge x Breite x Höhe 4.606 x 1.985 x 1.479 mm, Radstand 2.735 mm. Wendekreis 11,5 m, Leergewicht 2.009 kg (Dual Motor 2.105 kg), Kofferraumvolumen hinten 407 l - 1.097 l, vorne 41 l. Anhängelast gebremst 1.500 kg.
Verbrauch:
Single Motor: Normverbrauch 14.8 - 15.8 kWh/ 100 km. Testverbrauch 18,2 kWh/100 km. Maximale Reichweite bis zu 655 km, Test-Reichweite 435 km.
Dual Motor: Normverbrauch 16.8 -17.2 kWh/ 100 km. Testverbrauch 19,6 kWh/100 km. Maximale Reichweite bis zu 568 km, Test-Reichweite 400 km
Kosten:
Polestar 2 Long Range Single Motor ab 55.980 €, Preis des Testfahrzeugs mit Pilot- und Plus-Paket 64.390 €
Polestar 2 Long Range Dual Motor mit Performance Paket ab 63.490 €, Preis des Testwagens 74.290 €
Worin sich Single- und Dual-Motor unterscheiden
Im Fahrbetrieb ist der nominell doch beträchtliche Leistungsunterschied der beiden Polestar-2-Varianten (220 kW zu 350 kW) weniger merkbar, als es die Zahlen vermuten lassen würden. Dies liegt einerseits daran, dass hier die Spitzenwerte ausgewiesen werden, die im Einsatzfall ohnehin nur für kurze Zeit verfügbar sind. Und anderseits werden die zwei Sekunden Unterschied bei der Beschleunigung von 0 auf 100 km/h (4,2 zu 6,2 Sekunden) zwischen Dual- und Single-Motor mit Blick auf die Reichweite im realen Betrieb auf der Straße wohl auch nur eher selten ausgelotet werden.
Womit wir bei dem im Alltagseinsatz wohl relevantesten Unterschied der beiden Versionen wären.: Der Reichweite.
Die Bezeichnung "Long Range" führen zwar beide mit der 82-kWh-Batterie ausgerüstete Polestar 2 nicht zu Unrecht im Namen. Beim Allradler mit den beiden Motoren macht sich das zusätzliche Gewicht von rund 100 kg aber auch dann deutlich bemerkbar, wenn er ebenfalls mehrheitlich innerhalb der bestehenden Tempolimits bewegt wird.
Beide Polestar im Langstrecken-Test
So absolvierte der Polestar 2 mit Allradantrieb den Langstreckentest über eine Strecke von rund 340 km im normalen Alltagsverkehr mit einem Durchschnittsverbrauch von 19,6 kWh. Was unterm Strich eine reale Reichweite von rund 400 km ergab. Der die Algorithmen des Bordrechners jedoch nicht ganz getraut haben dürften, forderten sie doch schon bei der Eingabe des Ziels vor der Abfahrt einen Ladestopp entlang der Route ein.
Das heckgetriebene Pendant verbrauchte auf der identen Strecke bei vergleichbaren Wetterbedingungen im Schnitt nur 18,2 kWh. Was sich in einer realen Reichweite von rund 435 km manifestierte. Wodurch auch die elektronischen Besserwisser an Bord beruhigt waren, keine Ladepunkt-Empfehlungen aufpoppen ließen und die Strecke in einem Zug abgespult werden konnte.
Das Resümee
Wer sich von dem noch aus der Verbrenner-Ära zu stammen scheinenden engen Cockpit des Polestar2 nicht abschrecken lässt und mit Bling-Bling-Design ohnehin nichts am Hut hat, wird im technisch aufgefrischten Polestar 2 eine puristische Alternative zu all den massigen Elektro-SUV dieser Klassengröße finden. Und wer den Strom selbst zahlt, wird wohl eher zum Single Motor greifen und damit bei den überwiegenden praxisrelevanten Kriterien nicht schlechter fahren, als mit dem rund 10.000 € teureren Dual Motor mit Performance Paket.
Sollte der Allradantrieb das wichtigste Kriterium für die Kaufentscheidung sein, kann beim Dual Motor das Performance-Paket auch weggelassen werden. Womit immer noch 310 kW (421 PS) Spitzenleistung zur Verfügung stehen. Aber nur mehr 3.000 € Aufpreis auf den Hecktriebler fällig werden.
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