Wahlkampfthema Auto: China agiert, Europa reguliert
Wenn man zu einem offenen Brief greift, dann ist meist Feuer am Dach. Und dass die Automobilindustrie vor einer der größten Veränderungen ihrer Geschichte steht, ist unbestritten. Darüber, wie und wohin die Veränderung führt, wird allerdings schon gestritten. Vor allem in Europa.
Vor allem aber wird reguliert: 8 bis 10 neue Verordnungen werden jedes Jahr in Europa eingeführt. Die Konsumenten sind verunsichern. Kommt das Verbrenner-Aus? Wenn ja, wann? Oder doch nicht? Das große Problem: Den Führungskräften der Automobilbranche geht es in Sachen Planungssicherheit nicht viel besser.
Luca de Meo, CEO der Renault Gruppe, wendet sich nun an die Öffentlichkeit. Er hat heute seinen «Brief an Europa» veröffentlicht, den er gestern an die wichtigsten Entscheidungsträger und Interessenvertreter in ganz Europa geschickt hat. De Meo sucht darin nach kollektiven Maßnahmen für eine der dringendsten Herausforderungen der europäischen Automobilindustrie. Für diese Aufgabe müssen wir, wie er zu sagen pflegt, "die Wahrheit" sagen, nicht nur "unsere Wahrheit".
In sich zwanzigseitigen Brief, das in einem Dutzend europäischer Sprachen verfügbar ist, wendet er sich an alle Akteure des europäischen politischen Lebens.
Bevor der Wahlkampf mit seinen Auseinandersetzungen losgeht, wollte ich mich zu Wort melden, nicht um mich in die Politik einzumischen, sondern um zu einer Entscheidung über die richtige Politik beizutragen.
Der CEO möchte „diese Zeit des beispiellosen Wandels zum Sprungbrett für eine industrielle Erneuerung in Europa machen“, indem Europa eine sektorübergreifende Zusammenarbeit entwickelt und Großprojekte zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor anführt.
Mit Airbus haben wir bereits gesehen, was Europa leisten kann. Indem wir die Kooperationsinitiativen verstärken, werden wir unsere Industrie auf den Weg der Wiederbelebung bringen.
Luca de Meo stellt seine Diagnose und erinnert an die Bedeutung des Automobilsektors nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die europäische Lebensweise, die heute einem unausgewogenen Wettbewerb ausgesetzt ist: "Die Amerikaner stimulieren, die Chinesen planen, die Europäer regulieren".
Dazu liefert er Zahlen: 13 Millionen Beschäftigte zählt der Sektor in Europa, aber 35% der weltweit exportierten Elektrofahrzeuge waren im Jahr 2023 chinesisch. 1,5 bis 2 Jahre Entwicklungszeit in China stehen 3 bis 5 Jahren in Europa gegenüber. 40% der französischen Arbeitsplätze in der Produktion gehen durch Reshoring verloren. Denn es gibt 40% höhere Lohnkosten in Europa gegenüber China.
Wie kann sich die europäische Automobilindustrie behaupten?
De Meo formuliert sieben Empfehlungen und acht Maßnahmen zur Entwicklung einer echten europäischen Industriepolitik, die wettbewerbsfähig und dekarbonisiert ist: "Europa muss ein hybrides Modell erfinden", zum Beispiel durch die Einbeziehung der "200 größten Städte Europas in die Dekarbonisierungsstrategie", durch die Einrichtung einer "Industrie-Champions-League", um Akteure zu belohnen, die sich für den Übergang engagieren, und durch die Errichtung "grüner Wirtschaftszonen", die Investitionen und Subventionen für den Energiewandel konzentrieren würden.
Der ökologische Wandel ist ein Mannschaftssport.
Als Vorreiter der elektrischen Revolution schlägt der CEO des Renault-Konzerns außerdem zehn große europäische Projekte in strategischen Bereichen vor, die weit über den Automobilsektor hinausgehen: die Förderung europäischer Kleinwagen natürlich, aber auch die Revolutionierung der Zustellung auf der letzten Meile, die Entwicklung von Ladeinfrastrukturen und V2G-Technologie, die Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit bei Halbleitern.
„Der ökologische Wandel ist ein Mannschaftssport" meint der CEO. Ein wirklich neues Mobilitätsökosystem in Europa zu schaffen, eine große Herausforderung.
Luca de Meo liefert zu seinem Bericht auch Zahlen
Beschäftigte in der Automobilindustrie
• 13 Millionen Beschäftigte zählt man in Europa, das sind 7% der gesamten europäischen Arbeitnehmer.
• 102 Milliarden Euro Handelsüberschuss gibt es zwischen Europa und dem Rest der Welt. Das entspricht dem französischen Handelsdefizit.
• 17% der gesamten F&E-Ausgaben in Europa, einschließlich des öffentlichen Sektors, fließen ein
Die größte Herausforderungen für die europäische Automobilführerschaft ist laut de Meo die Verlagerung nach Asien
• ~4% Anteil chinesischer Marken an den Verkäufen von Elektrofahrzeugen in Europa
• 35% der weltweit exportierten Elektrofahrzeuge waren im Jahr 2023 chinesisch
• 6000 bis 7000 Euro chinesischer Kostenvorteil bei Autos des C-Segments. Das sind 25% am Gesamtpreis.
• Schnelligkeit: 1,5 bis 2 Jahre Entwicklungszeit in China stheen 3 bis 5 Jahren in Europa gegenüber.
Weiters gibt es die Herausforderung Elektrifizierung
• 55% der Fahrzeugverkäufe sollen bis 2030 durch Elektrofahrzeuge sein, gegenüber 8% heute.
• 252 Milliarden Euro, die von den europäischen Automobilherstellern zwischen 2022 und 24 zugesagt
wurden, um bis 2035 in Europa eine CO2-Netto-Nullproduktion zu erreichen.
• 25 Millionen Arbeitsplätze, die vom digitalen und ökologischen Wandel betroffen sind, wobei 500 000
Arbeitsplätze im fossilen-Sektor betroffen sind und 120 000 Arbeitsplätze geschaffen werden müssen
Vor allem aber Europas "regulatorisches Paradoxon"
• 8-10 neue Verordnungen werden jedes Jahr in Europa eingeführt
• Autos sind heute im Durchschnitt 60% schwerer als vor 20 Jahren
• 50% Preissteigerung bei Fahrzeugen im Vergleich zu vor 20 Jahren
• 40% der französischen Arbeitsplätze in der Produktion gehen durch Reshoring verloren (Der Grund: 40% höhere
Lohnkosten in Europa gegenüber China)
• Das Alter des durchschnittlichen Fahrzeugbestandes (12 Jahre alt heute, gegenüber 7 Jahren in der
Vergangenheit)
• Bis zu 25% der F&E-Ressourcen werden für Studien zur Umsetzung von Vorschriften gebunden
Unterschiedliche Regulierungsmodelle
• 110-160 Milliarden Euro chinesische Subventionen für das verarbeitende Gewerbe für den Zeitraum bis 2022
• 40 Milliarden Dollar für Steuergutschriften für umweltfreundliche Produktion in den USA aus dem «Inflation
Reduction Act»
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