Kinder mit Fahrradhelm? Doch nicht in Amsterdam

Kinder mit Fahrradhelm? Doch nicht in Amsterdam
Wien ist nicht Amsterdam. Was bei uns in Sachen Fahrradfahren als normal gilt, ist hier ein Sonderfall. Ein helmfreier Selbstversuch.

Es ist trüb und leicht regnerisch - typisches Amsterdam-Wetter, wie der Guide mir lächelnd mitteilt. Ich ziehe mir die Kapuze über den Kopf. Und bemerke: Damit bin ich aber die einzige, die eine Kopfbedeckung trägt. Helm trägt hier nämlich keiner.

Viele Fahrräder, keine Helme

Amsterdam ist eine Stadt der Fahrräder, das weiß man vorab. Darum kommt man ja auch her. Und man spürt es wirklich, sobald man das erste Mal die Straße überquert.  Fahrräder haben hier Vorrang -  vor Autos, Fußgängern und überhaupt. Wie wird es sein, hier selbst in die Pedale zu treten? In einer Stadt, die man nicht kennt. Ohne Helm! Wird es wild? Stressig? Gefährlich?
Und dann das Fahrrad: Es hat keine Gänge, dafür aber Rücktritt und schon ziemlich viele Jahre auf dem Buckel. Der typisch nach hinten gebogenen Lenker sorgt für eine ungewohnt aufrechte Sitzposition. Ich drehe eine Proberunde. Es fährt. Gottseidank verlernt man das Fahrradfahren ja nie. 

Mutige Mütter oder einfach geschickte Kinder?
Neben mir saust eine Mutter vorbei: Ein Kind sitzt vorne im Kindersitz, das andere am Gepäckträger. Dieser ist wie so viele hier mit einem Sitzpolster ausgestattet. Keiner trägt einen Helm, kein Kind ist angeschnallt. Die Mutter tritt völlig entspannt in die Pedale. Mir wird etwas mulmig. In Wien würde man so nicht durchkommen.

Kinder mit Fahrradhelm? Doch nicht in Amsterdam

Fahrräder müssen hier vor allem eines sein: Praktisch.

Wie kommt das, frage ich den Guide - warum trägt hier niemand Helm? „Wir können doch Fahrrad fahren“, ruft er mir über die Schulter zu, während wir am Wasser entlangradeln: „Das lernen wir, wenn wir zwei sind. Warum sollten wir runterfallen?“

Keine Helmpflicht, gute Infrastruktur

Und wirklich: In den Niederlanden existiert keine Helmpflicht. Laut dem Dekra Verkehrssicherheitsreport 2020 tragen in dem Fahrradland nur wenige einen Helm, in Amsterdam etwa nur 1,1 Prozent der Radfahrenden. In Österreich sieht das anders aus:  Kinder bis zum 12. Geburtstag müssen einen Radhelm tragen. Für Personen ab zwölf Jahren besteht keine Radhelmpflicht - aber man sieht viele, die es aus guten Gründen freiwillig tun. 
„Hier in Amsterdam sind Helmträger  eindeutig die Ausnahme“, erklärt mir der Guide. Dass er diese etwas belächelt, schwingt im Unterton mit. Wie um abzuschwächen schiebt er nach: „Aber man braucht Helme auch nicht, die Infrastruktur ist gut, es passiert nicht viel“ 

Und das stimmt. Obwohl hier - wie in jeder anderen Großstadt - genügend Autos unterwegs sind, hat man am Rad Platz. Niemand schneidet viel zu eng vorbei, an der Kreuzung muss man sich nicht davor fürchten, abgeschossen zu werden. Vielleicht ist es die Masse, die hier für Sicherheit sorgt?
 

Kinder mit Fahrradhelm? Doch nicht in Amsterdam

Auf jeden Einwohner kommen 2 Fahrräder: Dieses hier hat - der urbanen Legende zufolge - ein Mann für seine demente Frau verziert, damit sie sich daran erinnert, welches ihr Fahrrad ist.

Zwei Räder pro Einwohner

Denn jeder Amsterdamer, so lernen wir, besitzt im Schnitt zwei Räder. Was interessant ist, denn man sieht immer wieder zwei Menschen, die sich ein Rad teilen. Auch Erwachsene werden mitgenommen - da ist es praktisch, dass die meisten Räder hier solide Gepäckträger vorne und hinten haben. 

Überhaupt scheinen die Räder hier vor allem eines zu sein: Praktisch. Nicht schick, nicht teuer, sondern alltagstauglich sehen sie aus. Oft mit großen, unschönen Plastikboxen zum Transport von Gütern jeder Art ausgestattet, sieht man die typischen Bobo-Lastenräder, die in Österreich oft die Preise eines Kleinwagens erreichen, hier selten. Auch E-Bikes sind in der Minderheit. Die meisten Kinder aber, so merkt man, lernen früh, sich selbst festzuhalten. Ob am Gepäckträger, oder eben im Plastik-Kistl. Sie fahren mit. Helmfrei und ohne Sicherheitsgurt.

Kinder mit Fahrradhelm? Doch nicht in Amsterdam

Auch helmfrei gut angekommen: Radeln in der Großstadt - es ginge also auch stressfrei.

Es geht auch stressfrei


Und auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt: Man ist diszipliniert. Zwar stehen an jeder Straße Fahrräder, aber nie vor Geschäften „Das ist verboten, das weiß man“, erklärt der Guide. Und auch wenn man fast überall mit dem Rad hindarf - in der Zone rund um das Ausgehviertel herrscht in manchen Straßen Fahrverbot. Erklärung: „Das ist zu gefährlich, die Betrunkenen torkeln sonst in die Radler hinein.“

Auch sonst scheinen sich Alkohol und Fahrräder nicht zu vertragen: 25.000 Fahrräder werden jedes Jahr in die Amsterdamer Grachten geworfen oder verschwinden dort. An einem verrosteten Exemplar, das gerade herausgefischt wird, radeln wir vorbei.

Zwei Stunden später kommen wir entspannt und unfallfrei wieder am Ausgangsort an. Wir hatten Sonne, Regen, Wind und einfach graues Wetter - sich auf Amsterdamer Art im Zwiebellook zu kleiden, hat sich gelohnt. 

Und doch ist das Fazit rein positiv: Das hier war entspannt. Man wünschte sich, es wäre in Wien auch so. Ob man sich aber traut, die Kinder hierher mitzunehmen und helmfrei auf das Fahrrad zu setzen? Das bleibt doch zu überlegen.

 

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