Mobilitätsexpertin Katja Diehl: „Das Auto ist nicht für alle eine Lösung“

Mobilitätsexpertin Katja Diehl: „Das Auto ist nicht für alle eine Lösung“
Mobilität neu denken. Der Mensch soll im Zentrum stehen, meint Katja Diehl. Wie wir uns dann bewegen, erklärt sie hier

Katja Diehl polarisiert. Sie erzählt von Beifall auf der einen und Hass und Hetze auf der anderen Seite. Dabei ist ihre Botschaft durchwegs friedvoll: Mobilität soll den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Wie das konkret aussehen könnte, bespricht die Journalistin und Soziologin regelmäßig mit Experten und Expertinnen in ihrem Podcast „She drives Mobility“, in ihrem neu erschienenen Buch, im FTI-Beirat für Mobilität von Umweltministerin Leonore Gewessler und im Gespräch mit dem KURIER.

KURIER: Haben Sie einen Führerschein?

Katja Diehl: Ja. Aber ich habe nie ein eigenes Auto besessen.

Wie kam es, dass Sie die aktuelle Verkehrssituation infrage stellen?

Ich lebe in Hamburg und fahre viel Rad und ich habe begonnen zu hinterfragen, wieso ich mich auf dem Fahrrad so unsicher fühle. Warum ist es so, dass hier so viele Autos stehen? Wenn man etwas einmal wahrgenommen hat, dann kann man es nicht ungesehen machen. Ich wurde wütend. In Hamburg haben die Menschen Alternativen. Aber sie fahren auch Auto – ich habe mich gefragt, ist das aus Lust oder Frust? Das war für mich der Wechsel der Erzählung.

Sie haben für Ihr Buch mit 60 Menschen über ihr Mobilitätsverhalten gesprochen.

Allen war gemein: Wenn sie eine Alternative hätten, würden sie diese nützen. Das Auto ist nicht für jede Person eine Lösung. Andere Lösungen sind da, aber es gibt zu wenig Geld für diese Alternativen.

Welche Faktoren sind es, die Menschen dann doch ins Auto ziehen?

Das Sicherheitsbedürfnis. Frauen zum Beispiel fahren oft lieber mit dem Auto, weil sie sich öffentlich nicht sicher fühlen, Angst vor Belästigung haben. Ältere Menschen wählen das Auto, weil es oft nicht klar ist, welches Ticket man nehmen muss und Wege nicht barrierefrei sind. Dabei geht es ja noch nicht einmal um Menschen im Rollstuhl. Es wird schon schwierig, wenn man viele Taschen hat. Oder mit Kindern unterwegs ist. Manchmal schalten Ampeln so schnell um, dass man nicht einmal über die Straße kommt. Alles ist darauf ausgelegt, dass Autos schnell durchkommen. Aber wieso ist ein Mensch, der zu Fuß geht, weniger wert als ein Mensch im Auto?

Sie fordern, wie schon der Wiener Mobilitätsexperte Hermann Knoflacher, eine menschenzentrierte Mobilität. Was heißt das konkret?

In vielen Städten sind die Menschen gestresst. Wegen dem Lärm der Autos, Kinder blicken nur auf Blech. Ich wünsche mir dörflichen Charakter in der Stadt, mehr Raum zur Begegnung, dass Kinder frei spielen können, mehr Radverkehr, Fußwege, ein gutes Nahverkehrssystem. Die Masse könnte mit U-Bahnen und Straßenbahnen bewegt werden und dann geht es in die Feinverteilung bis vor die Haustür.

Sind Sie für eine komplette Abschaffung des Autos?

Für Abschaffung der Privilegien, wie Förderungen. Das Auto muss neu gedacht werden.

In den ländlichen Regionen kann man nicht ohne Auto sein.

Dürfen die Millionen Erwachsenen, die kein Auto fahren, also nicht am Land leben? Die Lösungen, mit denen wir den städtischen Raum überschwemmen, wie etwa Car Sharing, sollten in den ländlichen Raum kommen. Große Chancen bringt auch das autonome Fahren: Ich muss nur kurz warten, bis mich etwas abholt und mich zu meinem Ziel bringt, mit anderen Menschen, die den Weg teilen.

Wie realistisch ist die Vision?

Wir sind fantasiebehindert. Ich möchte, dass wir an eine Vision glauben. Je größer wir träumen, desto besser wird die Realität, weil wir eh nur 60 Prozent hinbekommen. Ich habe anerkannt, es gibt Situationen, in die haben wir uns reinmanövriert. Die kann man nicht sofort verändern, aber wir müssen jetzt damit beginnen.

Stoßen Sie auf viel Widerstand?

Es erreicht mich täglich Hass und Hetze. Das ist ein Zeichen dafür, was das Virus Auto macht. Es passiert mit dem Menschen etwas, wenn er im Auto sitzt. Wir akzeptieren zum Beispiel, dass Menschen schwer verletzt werden und sterben. Das ist doch eigenartig, denn wir sind doch empathische Wesen.

Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt, von Katja Diehl.
Verlag S. Fischer. €18,95. Ihr Webseite mit allen Infos: https://katja-diehl.de

 

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