Zuspitzung statt Argumente

Benzinpreise, Klima, Kapitalismus, Identitäre: Kann man das auch ohne Aggression diskutieren?
Martina Salomon

Martina Salomon

„Radikalismus löst keine Probleme“ schrieb kürzlich Eric Gujer, Chefredakteur der renommierten Neue Zürcher Zeitung. Eigentlich selbstverständlich, oder? Leider nicht mehr, wenn man die Daueraufregung unserer Zeit betrachtet. So arteten die französischen „Gelbwesten“-Demos gegen Benzin-Steuererhöhungen (theoretisch eine gute Umweltmaßnahme!) in wüste Randale und Plünderungen aus. In Berlin wird derzeit wegen der gestiegenen Mieten ernsthaft über die Enteignung großer Wohnkonzerne diskutiert. Man kann nur hoffen, dass die europäischen Schüler-Klimademos mit ihren ehrenwerten Zielen nicht ebenfalls von Systemzerstörern unterwandert werden und damit kippen.

In Österreich neigt man nicht zum Steinewerfen, aber auch hier steigt der Aggressionspegel, zumindest in Internetforen. Eine bis dato lächerliche Mickey-Mouse-Bewegung wie die Identitären wird zur Staatsaffäre. Speziell die SPÖ, in Ermangelung wirklicher Themen, ist in einer Anti-rechts-Dauer-Empörungsschleife gefangen. „Europäisch oder identitär?“ lautet nun ihr Schlachtruf bei dieser EU-Wahl. Ihre Sekundanten auf Twitter erwecken überhaupt den Eindruck, als sei das Grüppchen eine Terrorzelle. Wahr ist, dass sie eine Spende vom Christchurch-Massenmörder bekamen. Wahr ist auch, dass Teile der FPÖ mit Aktivisten in Verbindung stehen/standen, was für eine Regierungspartei unmöglich ist.

Wer bestimmt, was man sagen darf?

Man kann die Identitären, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz, der diesmal hart reagierte, „widerlich“ finden. Gegen das Verbotsgesetz verstoßen sie nicht. Und es klingt zwar populär, wenn die SPÖ jetzt ein Verbot rechtsextremer Parteien fordert, das ist aber völlig unrealistisch. Wer bestimmt, was man sagen darf? Werden nur Rechtsextreme verboten oder auch Linksextreme, Kommunisten oder gar die offen europafeindlichen Konservativen in England? Ist es gleichzeitig o.k., jemanden wie den Schweizer Alt-Linken Jean Ziegler dieser Tage von der SPÖ mit der Otto-Bauer-Plakette (ehemaliger deutschnationaler SP-Politiker) auszuzeichnen, der im APA-Interview meinte: „Ohne Gewalt geht es sicher nicht“?

Dass sich Kurz gleich zweimal (einmal hätte auch genügt) zu den Verbindungen zwischen Blauen und Identitären zu Wort meldete, liegt sicher daran, dass er dem Vorwurf „Schweigekanzler“ entkommen und auch international ein Signal setzen will, um fleckenloser Mr. Nice Guy der EU zu bleiben. Die FPÖ ist sauer, vom Koalitionspartner „vorgeführt“ zu werden, könnte im Grunde aber endlich , endlich, endlich die Chance nutzen, zu einer echten, staatstragenden dritten Kraft zu werden und ihr Rekrutierungsproblem zu lösen. Auch die FPÖ hat es in der Hand, keinen Hass mehr zu säen. Ein Verantwortungsbewusstsein darf aber ruhig ebenso von der Opposition eingefordert werden. Ja, es gibt Probleme zu lösen. Aber Verbalradikalisierung hilft dabei nicht. Im Gegenteil.

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