Willkommen in der Welt ohne Zinsen

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Die Notenbanken tun, was sie können. Das ist nur in Wahrheit nicht mehr allzu viel.
Hermann Sileitsch-Parzer

Hermann Sileitsch-Parzer

Unbefriedigend. Die Sparer im Euroraum werden sich noch sehr, sehr lange damit abfinden müssen, dass sich ihr Geld nicht vermehrt, sondern an Wert verliert. Mittlerweile muss man sich sogar die Frage stellen: Kommen wir je wieder aus dem Zyklus der Null- und Negativzinsen heraus?

Um diese Frage zu beantworten, darf man freilich nicht nur nach Frankfurt, zur Europäischen Zentralbank, schauen. Es mag populär sein, den Italiener Mario Draghi als Schuldigen herauszupicken. Das zielt aber an der ökonomischen Realität vorbei.

Denn natürlich beschließen weder der EZB-Chef noch seine designierte Nachfolgerin Christine Lagarde die Zinssätze allein im stillen Kämmerlein. Die Notenbanker sind vielmehr Getriebene der wirtschaftlichen Entwicklung. Und für deren Schwächeln haben die Regierungen der Eurostaaten ein gerütteltes Maß an Verantwortung zu tragen. Sie hätten die Zeit, die durch die Zinssenkungen seit 2009 erkauft wurde, besser nützen können und sollen. Etwa Italien seine Staatsfinanzen sanieren. Oder Deutschland seine marode Infrastruktur auf Vordermann bringen – beides ist nicht passiert.

Es tragen aber auch noch andere Faktoren bei. Die Bevölkerung wird erfreulicherweise älter, damit sinkt aber der Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter. Damit ändert sich das Spar- und Konsumverhalten, weil Pensionisten im Regelfall keine neuen Haushalte gründen. Die Produktivität steigt zwar, die Löhne aber kaum. Dazu trägt unter anderem die Digitalisierung bei: Die neuen Digitalgiganten kommen mit viel weniger Mitarbeitern und weniger Kapitaleinsatz aus als die alten Industrieriesen. Zum Vergleich: Facebook schrieb im Vorjahr 22 Milliarden Dollar Gewinn – mit nur 36.000 Mitarbeitern. Wie es der Zufall will hat General Electric im selben Zeitraum 22 Milliarden Dollar Verlust erzielt – bei einem mehr als doppelt so hohen Umsatz und mit 283.000 Beschäftigten.

Wohin führt uns dieser Weg? Ist es wirklich vorstellbar, dass schwächelndes Wachstum, kaum Inflation und Zinsen nahe dem Nullpunkt unsere neue Normalität darstellen? In Japan ist das seit gut 20 Jahren so der Fall. Die dortige Notenbank war eine Vorreiterin bei all jenen Maßnahmen, die die EZB jetzt wieder in ihrem Werkzeugkasten vorbereitet. Doch wie sagte der japanische Notenbank-Chef Haruhiko Kuroda diesen Montag in Washington: „Wir haben die Auswirkungen und Nebenwirkungen der unkonventionellen Geldpolitik noch immer nicht zur Gänze verstanden, aber wir müssen auch nicht allzu pessimistisch sein.“ Ein bemerkenswertes Eingeständnis, dass wir uns in einem Experiment mit ungewissem Ausgang befinden. Das ist, mit einem Wort zusammengefasst: unbefriedigend.

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