Wie "polnisch" ist Österreich?

Wer politischen Einfluss in Polen kritisiert, sollte auch einen Blick auf andere EU-Länder riskieren.
Martina Salomon

Martina Salomon

Wird nicht in Österreich der Chef der mit Abstand größten Medienorgel politisch ausgepackelt?

von Dr. Martina Salomon

über politiknahe Medien

Europa ist zu Recht empört: Die neue, nationalkonservative polnische Regierung will Justiz und Medien unter ihre Kontrolle kriegen. Ein Minister soll Spitzenposten in öffentlich-rechtlichen Medien besetzen und abberufen können. Undenkbar in der freien westlichen Welt, oder? Doch halt, es gibt ein kleines europäisches Land, in dem das seit jeher gang und gäbe ist. Wird nicht in Österreich der Chef der mit Abstand größten Medienorgel politisch ausgepackelt, samt der restlichen Führungsfunktionen? Früher saßen sogar Politiker im ORF-Stiftungsrat, der Großteil lässt sich immer noch Parteien zuordnen. Ein Einzelfall in Europa? Keineswegs! Im deutschen ZDF-Verwaltungsrat kommen acht von 14 Mitgliedern direkt aus der Politik. Sie entscheiden nicht nur über die Finanzen, sondern berufen auch Chefredakteur und Programmdirektor. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat übrigens gefordert, die staatsnahen Mitglieder auf ein Drittel des Gremiums zu reduzieren. Frankreich und Italien (Berlusconi!) sind nicht besser. Eher sogar schlechter.

Einer entwickelten Demokratie würdig?

Gar kein leuchtendes europäisches Vorbild ist der österreichische Zeitungsmarkt. In einer entwickelten Demokratie sollte es unmöglich sein, dass sich Parteien Gratis-Zeitungen halten – sie sogar mitgründen und via Inserate finanzieren. Parteizeitungen sind auf diese Weise überflüssig geworden. Das neue Modell ist weitaus wirksamer, weil es höhere Glaubwürdigkeit vortäuscht (leider aber einen Schatten auf die gesamte Medienlandschaft wirft).

Auch außerhalb der Medien hat die Politik hierzulande mächtig Einfluss. Wer Schuldirektor werden will, tut auch heute noch gut daran, sich ein Parteibuch zuzulegen – nicht mehr in allen, aber in einigen Bundesländern. Die Spitzenmanager im staatsnahen Bereich kann man meist einer Partei zuordnen. Und bei großen Bauvorhaben ist die Vernetzung der Bauträger und Architekten mit der Landespolitik meist wichtiger als ihre internationale Reputation. Vielleicht ist das ein Mitgrund, dass es hierzulande seit Jahrzehnten nur wenig wirklich interessante Neubauten gibt.

Polen will künftig auch den Verfassungsgerichtshof an die Kandare nehmen. Das ist ein Skandal. Aber es lohnt sich, kurz über die Autonomie der heimischen Justiz nachzudenken. Auch hier sind die Besetzungen der Höchstgerichte nur selten ganz unpolitisch.

Die EU warnt Polen nun vor der Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit (auch wenn Kommissions-Präsident Juncker schon wieder abwiegelt). Aber ist das nicht dieselbe EU, die gerade in der Flüchtlingspolitik kläglich versagt und sich bei den Sanktionen gegen Österreich seinerzeit so furchtbar blamierte?

Sollte gar ein österreichischer Politiker über Polen schimpfen, muss man ihn fragen, ob er – nur so nebenbei – vielleicht auch einen Blick auf hiesige Verhältnisse riskieren könnte. "Der werfe den ersten Stein …"

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