Wer rettet das Abendland?

Zwei Gruppen sehen die heimischen Werte bedroht. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein.
Martina Salomon

Martina Salomon

Europa ist in Gefahr, die digitale Hoheit über sein kulturelles Erbe zu verlieren“, sagte kürzlich der Vorsitzende des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens ARD, Ulrich Wilhelm. Er schlägt daher eine Digitalplattform für Verlage und Sender vor und spricht von „europäischen Werten“. Auch bei der Medienenquete der österreichischen Bundesregierung machten sich viele über die Identität Österreichs Sorgen. Damit wurde jedenfalls der Ruf nach Fortbestehen der ORF-Gebühren und höherer Presseförderung begründet.

Das ist natürlich alles diskussionswürdig – wenn auch ein wenig inkonsequent: Haben die Intellektuellen, speziell die Medienschaffenden, in Europa und Österreich nicht seit Jahr und Tag vor jenen gewarnt, die die Werte des „christlichen Abendlandes“ gefährdet sahen?

Klar, da gibt es inhaltliche Unterschiede: Die einen sehen europäische/österreichische mediale Inhalte inklusive der damit geschaffenen Wertschöpfung verschwinden, weil globale US-Konzerne die Konkurrenz wegfegen und sich das größte Stück vom Werbekuchen schnappen, ohne hier ernsthaft Steuern zu zahlen. Also eine Amerikanisierung (nach der RTLisierung) unserer Medieninhalte.

Die Abendlandretter wiederum ziehen zwar schon seit geraumer Zeit gegen Anglizismen in der Sprache zu Felde, fürchten sich aber noch mehr vor der Islamisierung. Weil eine vitalere, missionarischere (und geburtenstärkere) Religionsgemeinschaft unsere historisch christlich geprägte Gesellschaft nachhaltig verändern wird. Also frei nach Thilo Sarrazin: „Österreich schafft sich ab.“

Welche Werte?

Wobei in beiden Debatten noch zu klären wäre, was nun genau als schützenswert empfunden wird. Der Blick des subventionierten österreichischen Films auf das Heimatland ist ja so gut wie nie liebe- oder humorvoll. Zu einem großen Teil konzentriert man sich auf Kellernazis und andere Freak-Shows. Jedenfalls werden die „Eingeborenen“ gern als Trottelvolk, Politiker als korrupt, und die katholische Kirche als Hort der Rückständigkeit und des Bösen dargestellt. Oder ist es dann doch eher die milde Betrachtungsweise der ORF-Landesstudios, die wir nicht verlieren wollen? Oder die heimatverklärte im erfolgreichen Mateschitz-Magazin „Servus in Stadt und Land“ (das aber ohnehin ohne Subventionen auskommt)? Bei der Medienenquete konnte man sich jedenfalls nicht einmal darauf verständigen, was eigentlich „public value“ und wo dieser „öffentliche Wert“ zu finden ist.

Beschwören nicht auch die Abendlandretter Werte, die wir schon längst selbst untergraben haben? Geht es ihnen um alte Lieder, um Lederhosen, um den Nikolaus und das Sakrament der Ehe? Die medialen Identitätsschützer rümpfen über diese Gruppe jedenfalls verächtlich die Nase – und vice versa. Heimlich aber müssen sich beide eingestehen, dass man das Feindbild des jeweils anderen zur eigenen Profilschärfung braucht.

Möglicherweise ahnen aber alle miteinander ohnehin längst, dass wir unverrückbar in einer neuen Welt leben, deren Taktgeber vor allem in Asien und (auch noch) in Washington sitzen. Wer nur auf staatlichen Artenschutz statt auf eigene Innovationen setzt, landet irgendwann im Abseits der Geschichte.

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