Wer nicht teilhat, wird kein Teil

Wer nicht teilhat, wird kein Teil
Georg Kraft-Kinz

Georg Kraft-Kinz

Wer nicht gefordert und gefördert wird, der duckt sich.

von Dr. Georg Kraft-Kinz

über strukturelle Probleme bei der Integration

Sie heißen Marco, Ahmad, Mehmet, sind 14 Jahre alt, besuchen eine Neue Mittelschule in Wien Favoriten. Deutsch können sie nicht wirklich gut und brauchen sie auch nicht können. Denn in ihrer Klasse können nur vier von 24 wirklich gut Deutsch. Mit „Türkisch-Serbisch-Tschetschnisch-Wienerisch-Deutsch“ kommen sie bestens durch den Tag aber nicht durch die Schule, zu Hause wird nicht Deutsch gesprochen. Nach der Schule gehen sie nicht heim, sondern treffen ihre Freunde. Aufgaben machen sie nie, ihre Eltern achten nicht darauf, können sie nicht unterstützen. Sie lieben die Gruppe, in der sie den Nachmittag und Abend verbringen. Und einer bringt da neulich eine Idee mit, wie sie aus der Langeweile rauskommen ...

Realität

Fiktion für Sie? Falsch. Das Beispiel entspricht einer Realität in dieser Stadt. Nicht der ganzen, klar. Aber einer, der wir uns auch stellen müssen. Noch immer haben wir zu wenig Strukturen, um diese jungen Menschen aus dem gesellschaftlichen, sozialen Abseits zu holen, ihnen Perspektiven für ihr Leben zu geben, die Chance auf umfassende Bildung. Betroffen sind mehrheitlich – aber nicht nur – junge Menschen, die zugewandert sind, aus unterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlicher Religion. Wer nicht dazugehört, wer nicht gefordert und gefördert wird, der duckt sich. Lehnt das kapitalistische System ab. Findet die Pubertät in Permanenz und sucht sich seinesgleichen. Nicht er selbst, der Jugendliche, glaubt, er scheitert, sondern das System ist schuld. Es ist fundamental wertlos, da finden viele keine Heimat. Jeder sucht Identität, auch diese Jugendlichen. Wenn die Familie auslässt, dann werden die Freunde noch wichtiger. Und es gibt kein Regulativ, keine Korrektur, nicht einmal Feedback. Das ist der Boden für Entfremdung, für Einsamkeit, für Rempeleien und Anpöbelungen auf der Straße, für Kleinkriminalität, für Gewalt.

Bildung als Schlüssel

Österreich ist eine Insel der Seligen – wenn wir sie weiterentwickeln. Wir können das Vorzeigeland des Miteinander werden. Die besten Voraussetzungen haben wir. Und der Schlüssel für Marco und seine Freunde ist die Bildung, ist die Ganztagsschule, ist die Förderung, die Anerkennung und Wertschätzung, die er von uns, der sogenannten Mehrheitsgesellschaft, nicht bekommt. Seine Zukunft muss uns etwas wert sein, darum geht es. Noch immer sind die Eliten „migrantenfreie Zone“, teilen sich die „AltösterreicherInnen“ die Republik auf. Wer nicht teilhat, wird kein Teil und kann wenig teilen. Wir fürchten uns vor Islamismus und wollen nicht sehen, wie er entsteht: auch durch unsere Ignoranz. Wir wollen eine diverse Welt nicht verstehen, weil sie uns überfordert. Aber die Welt ist so. Jasmin wird gerade im SMZ Ost geboren, sie wiegt 3kg 55g und ist 51 cm groß. Ihre Eltern sind aus der Türkei nach Österreich gekommen. Jasmin ist Türkin und Muslimin. Sie und wir alle bestimmen heute, ob sie in 14 Jahren sagen wird: I am from Austria.

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