Wenn Worte Lawinen auslösen

Schabowski und Merkel: Beide haben Massen in Bewegung gesetzt, ohne die Folgen genau zu ahnen.
Martina Salomon

Martina Salomon

Schafft Deutschland das wirklich?

von Dr. Martina Salomon

über historische Wendepunkte

Am Sonntag ist Günter Schabowski gestorben. Der Ex-SED-Funktionär hat am 9. November 1989 mit dem gestammelten Satz "Das tritt nach meiner Kenntnis…ist das sofort, unverzüglich" die Öffnung der DDR-Grenzen verkündet. Danach strömten Tausende in den Westen, die DDR war Geschichte.

War ihm bewusst, was er auslöste? Angela Merkel hat einen noch viel größeren Strom in Gang gesetzt, indem sie die Syrien-Flüchtlinge in einer konkreten Situation (Massen vor dem Budapester Bahnhof) einlud. "Deutschland schafft das". War ihr bewusst, dass das ein Signal an Millionen war – auch außerhalb Syriens? Hätte sie es auch gesagt, wenn sie die Folgen für ihr Land, die Europäische Union und ihre Kanzlerschaft geahnt hätte? In einem Asyl-Krisengipfel am Wochenende rangen CDU, CSU und SPD um einen Minimal-Konsens. Gemeinsam mit Österreich sollen nun Transitzonen eingerichtet werden. Allein heuer werden bis zu einer Million Asylbewerber in Deutschland erwartet – mit Familiennachzug werden es viel mehr, ein Ende ist nicht absehbar. Schafft Deutschland das wirklich?

Zehntausende werden als Folge der Merkelschen Politik auch bei uns um Asyl ansuchen, viele ließen wir bisher unkontrolliert weiterziehen. Österreich wird dafür von Deutschland kritisiert – vollzieht aber ohnehin nur mit, was von der "großen Schwester" Merkel diktiert wurde. Wenn Deutschland glaubt, Millionen Menschen aus muslimischen Ländern aufnehmen zu können, dann soll es das tun – ohne andere Länder zu belasten, die weniger großzügig sind, weil sie ein Kippen ihrer Gesellschaft und ihrer Sozialsysteme fürchten. Weder gab es bei uns (wie in Deutschland) Anschläge auf Asylwerber, noch andere gewalttätige Auseinandersetzungen. Bei aller Kritik an mangelhafter Vorbereitung ist es heroisch, was Exekutive, professionelle und ehrenamtliche Helfer sowie die Reste des fahrlässig zusammengesparten Heeres an den heimischen Grenzen leisten. Ist es unethisch zu fragen, ob Österreich das weiterhin schafft?

Verantwortungs- statt Gesinnungsethik

Der evangelische Theologe Ulrich Körtner meinte kürzlich in der Kleinen Zeitung: Es dürfe jetzt nicht nur um Gesinnungsethik gehen, sondern auch um Verantwortungsethik. Die "hochmoralischen" Gesinnungsethiker verurteilen jene, die fragen, welche politischen, budgetären und sozialen Folgen die Integration Hunderttausender haben wird und ob es nicht einen Verteilungskampf im unteren Bereich der Gesellschaft geben werde. Körtner will nicht das Asylrecht aushöhlen, meint aber: "Eine verantwortungsethische Position kann nicht darüber hinwegsehen, dass gerade der offene Verfassungsstaat ohne Grenzen und Begrenzungen nicht bestehen kann."

Österreich spielt momentan immerhin eine Rolle als als Gastgeber für die Syrien-Konferenz, aber eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Folgen der Massen-Migration auf Arbeitsmarkt-, Sozial- und Sicherheitspolitik fehlt. Wir stehen wahrscheinlich an einem Wendepunkt der Geschichte – so wie damals, als der Ostblock zusammenbrach.

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