Es geht um die sogenannte Triage (von frz. trier = aussortieren, -suchen, -lesen): also die Entscheidung, wer im Falle knapper Ressourcen prioritär medizinisch versorgt wird. Durch die Pandemie wurde diese grundsätzliche ethische Fragestellung neuerlich unterzündet: Wer soll bei Überlastung der Intensivstationen durch Corona-Patienten hintangereiht werden? Generell ist eine Vielzahl an Antworten denkbar. Der spontane menschliche Reflex sagt: Triage darf es überhaupt nicht geben. Nüchtern betrachtet wird man auf einer ganz prinzipiellen Ebene freilich einmal festhalten müssen: Triage wird es immer geben, solange Güter und Ressourcen knapp sind. Und das sind sie in einer endlichen, unvollkommenen Welt immer – nicht nur in der Medizin. Wäre es anders, gäbe es keine Verteilungsfragen, keine Gerechtigkeitsproblematik.
Der aktuelle BVerfG-Beschluss bezieht sich ausdrücklich nur auf das Verbot der Diskriminierung Behinderter – neun schwer(st) behinderte Personen hatten Beschwerde eingelegt. Aber es ist völlig klar, dass das Thema nicht nur diese Personengruppe betrifft. Eine Rechtswissenschaftlerin etwa hat sich im Spiegel dafür ausgesprochen, gegebenenfalls auch den Impfstatus der Patienten zu berücksichtigen.
Das gesamte bisherige Corona-Regime mit Lockdowns und sonstigen Restriktionen hatte ja erklärtermaßen vor allem dies als Ziel: eine Situation zu vermeiden, welche Triage unausweichlich macht. Das ist gut und richtig – aber keine Garantie, dass sich das Problem nie stellt. Und es stellt sich ja in gewisser Weise schon jetzt, indem man auf nicht akute Operationen lange warten muss.
Die Frage ist freilich, wie eine gesetzliche Regelung aussehen könnte, welche den Ärzten die Entscheidung erleichtert. „Dem Gesetzgeber steht bei der Entscheidung, wie die konkrete Schutzpflicht […] erfüllt werden soll, ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu“, sagt das BVerfG. Der Satz macht das ganze Dilemma greifbar. Auch der Hinweis einer der Beschwerdeführerinnen in einem Spiegel-Interview lässt, gelinde gesagt, ratlos zurück: „Ich finde im Fall einer Triage die Regel ‚first come, first serve‘ am erträglichsten“, meint sie. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst … Wirklich?
Viel spricht dafür, dass über ohnedies bestehende Diskriminierungsverbote hinausreichende Regelungen kontraproduktiv sein könnten. Oder, wie es der Verfassungsrechtler Christoph Bezemek formuliert: „Das Leben ist immer kreativer als der Gesetzgeber.“
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