Was bei der Pflegereform noch fehlt
Christian Böhmer
12.05.22, 18:16Kennen Sie Florence Nightingale? Nein? Die britische Krankenschwester gilt als Begründerin der modernen Krankenpflege.
Ihr Geburtstag, der 12. Mai, ist der internationale Tag der Pflege. Und insofern war es alles andere als Zufall, dass Gesundheitsminister Johannes Rauch und die Klubobleute der Koalitionsparteien am Donnerstag das für sie „größte Reformpaket der vergangenen Jahrzehnte“ präsentiert haben.
Nun ist es nicht weiter überraschend, dass eine Regierung an einem historisch aufgeladenen Tag politische Absichtserklärungen platziert. Noch dazu, wo die Situation im Pflegewesen eine Qualität – oder besser eine Nicht-Qualität – erreicht hat, die Betroffene demonstrierend auf die Straße treibt, und die die Volksanwaltschaft zuletzt sogar als „menschenunwürdig“ bezeichnet hat.
Im konkreten Fall muss man ÖVP und Grünen aber eines zugestehen: Sie haben einen Schritt unternommen, den viele Regierungen vor ihnen so nicht machen konnten und/oder wollten. Allein in den nächsten beiden Jahren nimmt die Republik gut eine Milliarde Euro in die Hand, um die Situation für Betroffene, Angehörige und das Personal zu verbessern.
Rund die Hälfte dieser Summe fließt in eine Gehaltserhöhung, die beim einzelnen Helfer fast ein Monatsgehalt ausmachen soll. Die verbleibende Summe auf die Milliarde fließt in Zuschüsse für Neu- und Wiedereinsteiger, in Pflegestipendien, eine neue Pflegelehre und anderes. Das Ziel heißt: Der harte, aber auch erfüllende Pflegejob soll fairer entlohnt und für junge wie ältere Berufsanfänger attraktiver werden.
Kein Pappenstiel
In Zeiten, in denen der öffentliche Haushalt die Nachwehen einer Pandemie, eine Teuerungswelle und die ökonomischen Folgen eines Krieges zu stemmen hat, ist eine Milliarde Euro kein Pappenstiel. Und nicht von ungefähr würdigen Vertreter der in der Pflege tätigen NGOs die Ansagen der Politik als „substanziellen Schritt“ nach vorne.
Es wäre freilich verfehlt, das Pflege-Thema politisch als erledigt zu betrachten.
An den teils absurd komplizierten Zuständigkeiten ändert die vorgestellte Reform wenig. Bund, Länder und Gemeinden bleiben gleichermaßen zuständig für die Belange. Und das bedeutet, dass es Betroffenen, leider, auch weiterhin schwerer gemacht werden wird als nötig – etwa, wenn erwachsene Kinder ihre pflegebedürftigen Eltern „über die Grenze“, also von einem Bundesland ins andere, zu sich holen wollen.
Die Pflegereform ist erst dann abgeschlossen, wenn es völlig egal ist, welche Postleitzahl ein zu Pflegender hat.
Bis dahin wird es noch dauern. Aber immerhin wurde ein erster Schritt getan. Und das darf man anerkennen. Auch, ja vor allem am Geburtstag von Frau Nightingale.
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